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Ahoi Polaroid

Ahoi Polaroid

Titel: Ahoi Polaroid
Autoren: Sobo Swobodnik
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den Dreck /und wird noch mehr gereizt. «
    Game Over beim Counter-Strike-Spiel. Abgeblasenes Manöver in Mittenwald. Die Böhsen Onkelz waren nicht mehr stolz, Skinheads zu sein.
    Dann die zweite Strophe. Noch lauter, noch eifernder.
    »Unzüchtig und barbarenhaft grölt die Musik;/die Witze machen mich zum Schwein / in dieser freien Wasserrepublik: / mein armes Herz kann nur ›Herr Jesus‹ schreien./Unzüchtig und barbarenhaft grölt die Musik, und unten starrt das Meer wie schwarzer Stein,/der schwarze von Mosambik /und wäscht mich Schwein nicht rein.«
    Offene Münder, staunende Gesichter, eingerissene Ärsehe. Stumme Telefone. Der Manager würgte seine Sekretärin ab. Die junge Frau ihr Wochenende. Während dem Gemüseauflauf das Gas abgedreht wurde und die hämorrhoiden im Stillen weiterbluteten. Vinzi schickte Plotek einen fragenden Blick zu. Der nickte kurz, aber entschieden. Dritte und letzte Strophe.
    »Wenn ihre Mäuler endlich stillesteh,/mein armes Herz, was tust du dann?/Es sind nur Leichen auf dem Deck zu se hen, /und der verdammte Kapitän liegt obenan. / Wenn ihre Mäuler endlich stillestehn / und die Musik nicht mehr verludert grölen kann,/ist weit und breit kein Land zu sehn. /Mein armes Herz, was tust du dann?« Gar nichts, hätte Plotek sagen können. Er sagte aber nichts. Alle anderen auch nicht. Eine unbeschreibliche Stille hatte sich über das Zugabteil gelegt. Man hörte nichts mehr. Was sich wiederum anfühlte, als wäre es die unheimliche Ruhe vor dem katastrophalen Sturm. Als hielte die Welt für einen Moment den Atem an. Kein Telefon, nirgends. Kein Muh, kein Mäh. Nichts. Auch kein Protest. Hier und da lautloses Kopfschütteln. Sonst nichts. Gar nichts. Eine etwas beklemmende Ungewissheit legte sich über die Stille, Ratlosigkeit über das Großraumabteil.
    Ist das ein Spinner oder ein Fundamentalist?, schienen die meisten Mitreisenden angesichts des deklamierenden Vinzi zu grübeln. Die fehlenden Beine sprachen für Fundamentalismus. Für Terror und alles. Hat der in seinem Beutel in der Gepäckablage statt Socken vielleicht Handgranaten und Splitterbomben? Mit Zeitschaltung, programmiert auf gleich? Counter-Strike in real. Mittenwald ohne Platzpatronen. Theatereinsturz im ICE. Soll heißen: Die Katastrophe. Die Tragödie. Die Angst. Würde der Zug zu einer
    Meldung in den Zwanzig-Uhr-Nachrichten? Sondersendungen? Brennpunkt? Würde Jena Paradies zum letzten Halt vor dem Ende?
    Ein Getuschel hob an. Verstohlene Blicke suchten ein Ziel. Einige Personen standen tatsächlich auf und wechselten klammheimlich das Abteil. Stahlen sich schleichend davon, um nicht vom Attentäter erwischt zu werden. Dann war es wieder so ruhig wie in einem zenbuddhistischen Meditationsraum. Om. Plotek musste gähnen.
    »Angenehm«, sagte Vinzi.
    »Stimmt«, sagte Plotek.
    Ein älterer Mann mit Konrad-Lorenz-Bart und einer Zeitung in der Hand nickte ihnen zu. Ein anderer, viel jünger, mit einem zerknitterten Leinenanzug und blasser Haut, der mit einem Buch danebensaß, lächelte. Im Zugabteil herrschte nun wieder ein gepflegtes Gesprächsklima. Dafür stank es. Der Grund: Eier, hartgekochte Eier. Wurst und Käse obendrauf. Das Abteil stank, als wären alle Passagiere zwangsverpflichtet worden, im Darm der Picknickgesellschaft zu campieren. Plotek und Vinzi ergriffen die Flucht. Nachdem der Zug Leipzig hinter sich gelassen hatte, beschlossen sie, dem Speiseabteil einen Besuch abzustatten.
    Ihr Ruf schien ihnen vorausgeeilt zu sein. Die Kellner waren so freundlich, als kämen da nicht ein Krüppel und sein derangierter und schmuddeliger Begleiter in das Bordrestaurant, sondern Scheich Ahmad Yasin, der querschnittgelähmte Gründer der Hamas, aus dem Jenseits und Bin Laden aus seinem Erdloch. Alles lächelte, was den beiden schon wieder ein wenig unangenehm wurde. Angenehm dagegen war, dass im Bahnrestaurant gerade Gourmetwochen auf dem Speiseplan standen.
    »Trifft sich gut!« Vinzi bestellte ein Spreewaldgericht, von einem Sterne-Koch kreiert. In Gedenken an die sächsischen Krieger. Plotek bestellte das Gleiche.
    »Und jeweils ein großes Bier, bitte!«
    »Danke.«
    Ein Tisch weiter saß eine junge Frau mit langen schwarzen Haaren und einer Oberweite, die die Bluse vor eine Zerreißprobe stellte. Sie blätterte in einer Modezeitschrift. Immer wieder hob sie den Kopf, trank einen Schluck von ihrem Weißwein und lächelte anschließend zu Vinzi herüber, als wäre sie eine der sieben Jungfrauen aus dem
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