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Ahoi Polaroid

Ahoi Polaroid

Titel: Ahoi Polaroid
Autoren: Sobo Swobodnik
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ist im Backofen, musst du nur einschalten, nein, auf 220 Grad und dann. . .« Da kann das Paradies der einen schnell zur Hölle für die anderen werden.
    »Proktologe?« Plotek fragte es ähnlich laut wie die Frau am Telefon.
    »Analfissur, Stuhlinkontinenz, Hämorrhoiden«, kam es von Vinzi genauso laut zurück. Die Frau erschrak, und sprach dann etwas gedämpfter weiter.
    Schräg ihnen gegenüber wurde ebenfalls ein Mobiltelefon besprochen wie eine Warze. Oder Gürtelrose. Und zwei Sitze weiter versuchte ein Investmentmanager per Handy seiner Sekretärin, die offenbar stark schwerhörig war, Termine zu diktieren. Vielleicht war es aber auch sein Wunsch, das ganze Zugabteil mit zum Termin einzuladen. Als Zeugen, Verhandlungspartner, oder einfach als moralische Stütze. Neben ihm wiederum saß eine junge Frau in einem beigen Kostüm und mit modischer Brille, die einer Freundin bis in die kleinsten Details ihr komplettes Wochenende erzählte. Die Größe der geilen Sommerbluse zum Beispiel, die sie bei H&M dann doch nicht gekauft hatte. Es musste wirklich wahnsinnig lustig gewesen sein, beim Shoppen und Bummeln am Wochenende in der Münchner Fußgängerzone.
    »Was hast du gesagt?«, fragte Plotek, dessen Schädelbrummen von dieser wabernden Kakophonie noch heftiger wurde. Auch Vinzi fühlte sich wie auf einem ostanatolischen Jahrmarkt unter grobschlächtigen Marktschreiern, die ihr verhunztes Leben wie Fallobst für fast umsonst anboten. Wie zur Bestätigung klingelte das nächste Telefon. Die Melodie, irgendein technogeschredderter Defiliermarsch, beschallte immer lauter werdend das Abteil. Da der Handybesitzer, ein ostdeutscher Bundeswehrsoldat mit Dosenbier, sich gerade in maximaler Lautstärke den Böhsen Onkelz auf seinem Billigkopfhörer hingab, dauerte es einige Strophen, bis er endlich das Gespräch annahm und das komplette Abteil von seinem »geilen dreitägigen Übungsmanöver in Mittenwald« unterrichten konnte. Dabei behielt er in einem Ohr die Böhsen Onkelz, während er den anderen Hörerknopf bereitwillig allen anderen Mitreisenden zur Verfügung stellte.
    »Einer von vielen mit rasiertem Kopf/Du steckst nicht zurück, denn Du hast keine Angst / Shermans, Braces, Jeans und Boots/die Deutschlandfahne, denn darauf bist Du stolz/Man lacht über Dich, weil Du Arbeiter bist/Doch darauf bin ich stolz, ich hör’ nicht auf den Mist. . .«, gröhlte der Sänger, während der picklige sächselnde Soldat die Schießübungen seines Manövers mit lauten Knallgeräuschen veranschaulichte. Damit es sich »Mensch Alder« in der Leitung auch besonders gut vorstellen konnte.
    »Du bist Skinhead/Du bist stolz/Du bist Skinhead/ schrei’s heraus« – man hörte es –, »Du hörst Onkelz, wenn Du zu Hause bist/Du bist einer von ihnen, denn Du bist nicht allein/Du bist tätowiert auf Deiner Brust,/denn Du weißt, welcher Kult für Dich am besten ist. . .« Er war tatsächlich nicht allein. Der Infanteriebeschuss aus dem Rachen des Sachsen wurde nun von einem Kollegen drei Sitze weiter eskortiert. Quasi militärischer Begleitschutz von einem rosagesichtigen Wehrpflichtigen, der, ebenfalls Dosenbier trinkend, beim Counter-Strike-Spiel auf seinem Computer herumballerte, als wäre Mittenwald überall. Vinzi und Plotek wünschten sich beide ostdeutschen Kämpfer fürs Vaterland auf direktem Wege nach Afghanistan. Auf Streife mit geilem Taliban-Beschuss. Oder in den Irak. In einen ganz fiesen Al-Qaida-Hinterhalt.
    Der Zug war schon fast in Naumburg, und die Krieger der Bundeswehr trugen noch immer ihre Kämpfe aus. Auch der Investmentmanager und die junge Frau gaben nicht auf. Handys über alles. Waffen am Ohr. Bis Vinzi irgendwann die Schnauze voll hatte. Er erhob sich ganz langsam und stellte sich mit seinen Stummelbeinen auf den Sitz, so dass er gerade über die Lehne hinwegschauen konnte. Er holte aus seiner Jackentasche ein kleines Büchlein heraus, schlug es auf und begann zu lesen. Aber nicht wie gewöhnlich, also leise und für sich. Sondern im Gegenteil. Für alle und ziemlich laut. Es hörte sich an wie eine proktologische Proklamation. Ein Sportplatzgebrüll während eines Gurkenkicks. Das alles andere im Abteil übertönte.
    »Mein armes Herz speit Galle auf den Dreck,/mein Herz von Tabak bitterschwarz gebeizt. /Die Schiffer tanzen um den Mast am Heck,/als hätte Rum die Schädel überbeizt. /Mein armes Herz speit Galle auf den Dreck, / mein Herz von Tabak bitterschwarz gebeizt!es schmeißt dem Kapitän ins Maul
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