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Ahoi Polaroid

Ahoi Polaroid

Titel: Ahoi Polaroid
Autoren: Sobo Swobodnik
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die Situation auch nicht so viel anders als sonst gewesen. Plaudertaschen waren beide eigentlich noch nie, auch nicht am Tresen. Plotek sowieso nicht, Vinzi vielleicht manchmal. Jetzt schien er nichts mehr sagen zu wollen. Womöglich wegen der Saukälte. Soll heißen: eher erschwerte Bedingungen für ein gepflegtes Gespräch. Da schwiegen sie eben. Doch beim Schweigen fällt einem die Kälte noch stärker auf. Zumindest Plotek. Außerdem wusste er natürlich, dass diese Kälte nicht nur kein Spaß war, sondern auch tödlich. Soll heißen: Sollten sie bei dieser Kälte einschlafen, würden sie auf keinen Fall mehr aufwachen. Also mussten sie zwangsläufig reden. In erster Linie, um sich am Einschlafen zu hindern. Vor allem Vinzi. Weil der, so verfroren wie er aussah, offenbar schon länger in diesem überdimensionierten Kühlschrank hockte. Von alleine schien er aber nicht reden zu wollen. Da versuchte Plotek eben, die Worte aus ihm herauszulocken. Er ließ sich wieder in den Rollstuhl fallen.
    »Und, wie geht es dir?« Selten dämliche Frage in so einer Situation. Aber egal. Sie zeigte Wirkung. Vinzi hustete. Dann sagte er leise und schleppend: »Den Umständen entsprechend, wie man so schön sagt.«
    »Seit wann bist du hier?«
    »Seit vielleicht zwei Stunden. Davor haben sie mich, nachdem sie mich im Schlaf überrascht haben, in einer der Kabinen eingesperrt.«
    »Wer sind die beiden?«
    »Liebermann«, sagte Vinzi. »Klara Liebermann und Klaus Liebermann. Die Kinder von Charlotte Liebermann.«
    Ein Familienunternehmen, dachte Plotek und fragte: »Und die Tote im Zug?«
    Vinzi schien nicht zu verstehen.
    »Uma Thurman in Blond?«
    »Ach so, ja, das war Karin Liebermann, die Zwillingsschwester von Klara.« Großes Familienunternehmen, quasi.
    »Und das Motiv?«
    »Rache. Sie wollen die Mutter rächen. Mit der Hilfe ihrer früheren Freunde, also mit Augustin, Kuhlbrodt, Sailer, Bruchmeier und meiner Wenigkeit könnte Charlotte noch leben, behaupten sie. Wir, also auch ich, hätten ihre Mutter auf dem Gewissen. Weil wir ihr das Geld für die Operation nicht zur Verfügung stellen wollten. Du erinnerst dich. 10 000 pro Nase.« Und ob sich Plotek erinnerte. Vinzi hustete wieder. »Das haben sie erst nach dem Tod ihrer Mutter erfahren. Durch Zufall. Im Nachlass fanden sie die Briefe an uns. Natürlich auch die IM-Unterlagen über uns.« Kurze Pause, dann: »Hast du die Dateien geknackt?«
    Plotek nickte. Konnte Vinzi natürlich in der Dunkelheit nicht sehen.
    »Als die Liebermanns auftauchten und an meiner Tür klopften, hörte sich das genauso an wie ein kurzes, leises Bellen. Und plötzlich fiel mir das Passwort wie Schuppen von den Augen«, sagte Vinzi.
    »Ja«, kam es von Plotek. »Hund, nicht gerade originell.«
    »Stimmt, aber so konnten wir zumindest auch drauf kommen«, erwidert Vinzi. »Jedenfalls entstand durch die Briefe und die IM-Unterlagen dann wohl der Plan. Dieses mörderische System. Die tödliche Bestrafung. Ich fürchte mal, die drei haben ihre Mutter sehr geliebt.«
    Genauso sehr müssen sie die vermeintlich Schuldigen hassen, dachte Plotek. Und: kein schöner Gedanke.
    »Ja, sonst wären sie kaum so brutal vorgegangen, oder?«, sagte Plotek, noch immer dem Gedanken nachhängend.
    »Du meinst die herausgeschnittenen Augen, der kupierte Schwanz, die Schnitzereien auf Stirn und Körper?«
    »Ja.«
    »Wobei ich glaube, dass da eher was Sinnbildliches dahintersteckt«, sagte Vinzi.
    »Hä?«
    »Na ja, der Stasi-Spitzel wird nicht nur ums Leben gebracht. Ihm werden auch noch die Augen, mit denen er die anderen ausspionierte und ins Unglück stürzte, entrissen, brutal herausgeschnitten, verstehst du?«
    Und ob Plotek verstand. »Das ist doch krank!«, sagte er und merkte, wie ihm dieser widerliche Gedanke zusetzte, so dass es ihm ein wenig schlecht wurde.
    Lange Zeit sagte keiner der beiden mehr etwas, bis Plotek schließlich »Und?« fragte. Das war weniger eine Frage, als die Aufforderung, weiter gegen das Erfrieren anzusprechen. Vinzi verstand und fügte weitere Worte aneinander.
    »Als ich, der Einzige, dem sie mit den IM-Berichten nichts anhaben konnten – ich habe ja nichts zu verlieren – , als ich also dann zufällig. . .« Er unterbrach sich und lächelte spöttisch. »Als ich also zufällig vor ein paar Wochen diese Reise gebucht hatte, was Klara Liebermann, eine der Töchter, die bei dem Hurtigruten-Unternehmen im Management arbeitet, aufgefallen ist, entstand die Idee.« Er hustete wieder.
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