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Ahnentanz

Ahnentanz

Titel: Ahnentanz
Autoren: Heather Graham
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Also nannte sie sie einfach Tom, Dick und Harry und grüßte sie jedes Mal, wenn sie an ihnen vorbeikam.“ Jon Abel war ein groß gewachsener, dünner Mann von etwa fünfundvierzig Jahren, der mehr wie ein verrückter Professor wirkte und weniger wie das, was er wirklich war: einer der angesehensten Gerichtsmediziner des Staates. Er sah hinaus auf das braune Wasser und seufzte. „Herrje, dieser Fluss hat mehr Leichen gesehen, als Sie und ich uns überhaupt nur vorstellen können, und man würde zwölf Leben brauchen, um sie alle zu untersuchen.“
    „Das ist alles?“, fragte Aidan. „Keine Untersuchung? Sie tun das einfach so ab?“ Während er sprach, verdunkelte sich allmählich der Himmel. Sturmwolken, die sich vorher nur angedeutet hatten, wuchsen zu großen, bedrohlichen Schatten am Himmel heran. Er deutete auf den Knochen. „Für mich sieht es so aus, als ob noch Gewebereste daran sind, was hieße, dass der Knochen frisch ist. Und es könnte irgendwo in der Nähe noch weitere Leichenteile geben, die dazu passen. Wenn ich über etwas Altes gestolpert wäre, hätte ich einen Anthropologen gerufen.“
    Jon Abel seufzte genervt auf. „Na klar. Ich habe ja auch nicht genug Leute, die von Kugeln durchlöchert wurden. Oder in Fetzen geschnitten. Bei Autounfällen zerquetscht. Zerschmettert unter irgendeiner Brücke. Sicher. Ich nehme einfach diesen Oberschenkelknochen, der vielleicht ein bisschen Gewebe an sich hat, und mache mich gleich an die Arbeit.“
    „Jon“, mischte sich Hal Vincent beruhigend ein. „Es könnte etwas an der Sache dran sein. Ich weiß, dass ihr beschäftigt seid und du eine Menge dringender Fälle hast, aber tu, was du kannst, okay?“
    „Männlich oder weiblich?“, fragte Aidan.
    „Bislang ist es nur ein Knochen.“
    „Männlich oder weiblich – Ihre Einschätzung“, insistierte Aidan.
    Der Gerichtsmediziner warf ihm einen gereizten Blick zu. „Weiblich“, sagte er. Der Mann war schon lange dabei. Ob ihm die heutige Vorgehensweise nun gefiel oder nicht, er war einer der Besten auf seinem Gebiet. Er rückte seine Brille zurecht und schüttelte den Kopf. „Aus dem Stegreif würde ich schätzen, dass sie etwa eins achtundsechzig groß war.“ Er sah genauer hin. „Vermutlich zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt. Sonst kann ich nichts sagen. Nicht einmal vermuten.“
    „Ich vermute, sie ist tot“, sagte Hal trocken.
    Jonas schaltete sich ein und versuchte, die Wogen zu glätten. Er gehört zum Typ Schlipsträger. Vierzig Jahre alt, groß und muskulös gebaut, mit glattem, blondem Haar und attraktiven Gesichtszügen. Selbst mitten im Matsch wirkte er tadellos und nicht aus der Ruhe zu bringen. „Wir würden es sehr begrüßen, Dr. Abel, wenn Sie uns mehr sagen könnten, sobald ihr Terminplan das zulässt. Sehen Sie, Jon, wir wissen, dass Sie sehr beschäftigt sind. Und wir wissen auch, dass Sie der Beste sind.“
    Jon Abel grunzte als Reaktion auf das Kompliment, warf Aidan jedoch wieder einen verärgerten Blick zu. Was ihn anbetraf, war Flynn ein Außenseiter. Er kam oft nach New Orleans, um hier Freunde zu besuchen, doch er war noch immer ein Außenseiter – zumindest für Jon Abel.
    Diesmal war Aidan wegen eines Vermisstenfalls in der Gegend. Ausgerissene Jugendliche hatten sich angewöhnt, auf dem sumpfigen Grasgelände jenseits des Flusses zu campen. Er hatte das Objekt seiner Suche gefunden, und sie war dreckig genug, nass genug, hungrig genug und elend genug gewesen, um dankbar zu hören, dass ihre Eltern sie wieder zu Hause haben wollten.
    Und Aidan war dankbar gewesen, dass er sie lebend gefunden hatte. Das war nicht immer der Fall bei Ausreißern. Undwohl auch nicht bei der Frau, deren Knochen er in der Nähe gefunden hatte.
    Jonas und Flynn kannten sich seit langer Zeit. Sie hatten zusammen die FBI-Akademie besucht. Jonas war bei der Behörde geblieben.
    Aidan hatte nach einigen Jahren seinen Dienst quittiert und war ausgeschieden.
    Es war vor allem Jonas’ guten Beziehungen zu Jon Abel zu verdanken, dass der Gerichtsmediziner sich vor Ort eingefunden hatte.
    „Ich tue, was ich kann“, sagte Jon. Er winkte seinem Assistenten Lee Wong, der allem aufmerksam zugehört hatte. Er wollte es zu was bringen, und mit Jon Abel zu arbeiten war dafür der richtige Weg.
    Der Oberschenkelknochen wurde ordnungsgemäß gekennzeichnet und eingetütet. Vor sich hin grummelnd, ging Jon dann in Richtung Auto, während Lee ihm folgte. Jon winkte zum Abschied und drehte sich für
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