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Agenten - Roman

Agenten - Roman

Titel: Agenten - Roman
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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düster …«
    »Ist es auch, halb Studium, halb Ausbildung, so ein typischer Mainzer Unterhaltungsverschnitt. Aber die Leute, die stehn jetzt auf sowas, die sind alle geil auf dieses Mediengefummel, am liebsten würden sie alle rein in die Sender, bloß irgendwo murmeln, bloß rein ins Bild. Walter nennt das Bildbezug , er ist eben tief drin in seiner Praxis.«
    »Gut, dann müssen wir ohne die beiden auskommen, in Zukunft?«
    »Denke schon, wir sind sie los …«
    »Männie, wir haben’s verdient! Manchmal brauchen auch wir etwas Glück …«
     
    An einem Vormittag überraschte mich Sarahs Anruf in der Redaktion. Sie hatte mich noch nie angerufen, ihre Stimme irritierte mich, und sie bat mich, kurz in die Wohnung zu
kommen, denn sie habe ihre Kontaktlinsen verloren, irgendwo fallengelassen; ohne die Linsen könne sie nicht arbeiten, wahrscheinlich lägen sie auf dem Boden, und sie fürchte, sie zu zertreten. Ich machte mich sofort auf den Weg.
    Sarah saß zitternd in der Küche. Sie hatte das Fenster weit aufgesperrt und sämtliche Heizkörper angestellt. Sie trug noch ein Nachthemd, die Arme waren an den Unterseiten blutig gekratzt. Ihre Bewegungen waren fahrig, immer wieder deutete sie auf ihr Zimmer. Ich fragte sie, was vorgefallen sei, und sie antwortete ruhig, die Schwärme hätten nun auch ihren Körper befallen, ein Rückzug sei nicht mehr möglich, die Linsen seien entwendet. Ich bat sie, ganz ruhig zu bleiben, ich würde die Linsen bald finden; ich bereitete ihr einen Tee und sorgte dafür, daß sie den Morgenmantel überzog. Ich schloß das Fenster und drehte die Heizung ab. Sie blieb still und trank den Tee mit lauten Schlürfgeräuschen, wie ich es von ihr noch nie gehört hatte. Ich sprach beinahe ohne Unterbrechung zu ihr, ich wollte sie besänftigen, denn sie war außer sich.
    Die Tür zu ihrem Zimmer stand weit geöffnet, und ich ging hinein, um nach den Linsen zu suchen. An den Wänden hingen große Bögen mit Strichlisten, seltsam beschriftet. Ich las vokabularisches Pensum und Enzymenwanderung, reduzierte Tests und Stromprotokoll. Die Striche waren mit exakten Daten versehen, Tag, Stunde, Minute. Auf dem Schreibtisch lagen Abschriften von Briefen, offensichtlich an Dreisen gerichtet; manche Passagen hatte sie unzählige Male kopiert, untereinander, auf einem Blatt, stets mit veränderter Handschrift. Auf dem Fensterbrett standen kleine Töpfe mit längst verwelkten Pflanzen; die Erde war trocken und rissig, kleine Textfähnchen waren mit Tesa-Film an die gelblichen Blätter geklebt.

    Auf dem Bett lagen mehrere Decken übereinander, Bücherstapel neben dem kleinen Gestell. Ich öffnete schnell das Fenster, es roch infernalisch, eine Mischung aus Schimmel, Öl und Verdorbenem. Der Gestank kam aus der Richtung des Betts, und mir kam eine furchtbare Ahnung. Ich rückte das Bett zur Seite, Einweckgläser, eine nicht mehr zu übersehende Zahl, bis oben gefüllt mit Zeug von der Straße, Dreck, Blätter, loses Geröll. Auch diese Gläser waren exakt mit bunten Zeichen beschriftet, mit Angaben von Fundort, Datum und Wetter.
    Ich ging zurück in die Küche. Sie saß ganz still und schaute vor sich hin. Sie trank den Tee mit großer Sorgfalt und bedankte sich immer wieder bei mir. Sie strich den Morgenmantel glatt und knüpfte die beiden Enden des Gürtels ungeschickt zusammen. Ich nahm ihre Hand, und sie fühlte sich kalt an, wie gefrorenes Fleisch. Sie stand auf und wanderte durch die Wohnung. Sie sprach, mal zu mir, mal zu sich selbst, in einem eigenartigen Idiom, dem ich nichts entnehmen konnte. Auf meine ruhigen Fragen entgegnete sie, sie sei übersteuert , der Weg zur repräsentativen Spitze sei jetzt geebnet; nur kleinere Arbeiten stünden noch aus, zum Beispiel die Verdrängung des Täuschers , der wochenlang seine Figuren geschickt habe, diese Elemente des Passivs.
    Ich nahm sie in die Arme, sie erschien jetzt sehr gelassen, und sie fragte mich, ob es mir schwer gefallen sei, mit ihr zu wohnen. Ich schüttelte nur noch den Kopf, ich hatte keine Worte für sie, ich hielt sie eng an mich gepreßt, und sie erzählte plötzlich Geschichten von früher. Sie erzählte ganz klar und sehr einfach, es waren Kindergeschichten, und sie spielten fast alle in der Zeit, als wir noch zusammen ins Gymnasium gegangen waren, in diesen manisch zergliederten
Bau aus den siebziger Jahren. Sie sprach von den Fahrten am Morgen mit Vater zur Schule und wie ich sie aufgezogen hatte mit ihrem Eifer, sie sprach vom
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