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Agenten - Roman

Agenten - Roman

Titel: Agenten - Roman
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Haut sich zu einer Folie geglättet. Sie ging schnell, auch auf ihren Stadtwegen schien sie keinen Blick zu verschwenden, ihre zielstrebige Motorik erweckte den Anschein fast unheimlich wirkender Abwesenheit. Dabei vernachlässigte sie auch ihre Kleidung; ihre Röcke und Hosen waren nicht sorgfältig gereinigt, sie trug all diesen Bedarf nur wie lästige Flicken, über die man besser hinwegsah. Ich bot mich an, ihr behilflich zu sein, ich wollte ihr den Gang zu einer Reinigung abnehmen, doch sie erwiderte nur, sie sorge bald selbst für die Beseitigung all dieser Zeichen, auch der Schmutz habe manchmal sein Gutes. Vieles von dem, was sie sagte, erschien mir wie ein Scherz, doch es war wohl kein Scherzen, denn sie sprach mit einer tiefen, oft heiseren Stimme, ein vages Flüstern wie
nach allzu großen stimmlichen Anstrengungen. Ihre Augen waren geweitet, auch danach erkundigte ich mich, doch wiederum wich sie aus, sie benutze seit einiger Zeit versteckte Materialien, zum Beispiel Kontaktlinsen , Brillen behinderten sie. Ihr Zimmer hatte sie abgeschlossen; ich befürchtete hinter der verschlossenen Tür ein ekelerregendes Durcheinander, denn auch in der Küche hinterließ sie nur verklebte, schmutzige Tassen und Teller, sorgsam aufeinandergestapelt, ohne sie einmal zu säubern. Ich erledigte diese Arbeiten ohne Murren, alle paar Tage stand sauberes Geschirr für sie bereit, und sie nahm diesen Dienst ohne jede Bemerkung an, als gehörte es sich so.
    Ich wußte nicht, wie ich mit ihr umgehen sollte; ich lud sie zu Ausflügen am Wochenende ein, doch sie wehrte ab, sie habe zuviel zu tun. Ich sprach sie auf ihre Seminare an, aber sie gab nur zurück, der Unterricht sei, wie erwartet, fast durchweg enttäuschend. Ich hatte ihr einen Bildband über das alte Griechenland geschenkt, für einen Augenblick hatte sie sich fast schamhaft gefreut; einige Tage später jedoch erklärte sie nur, das alte Griechenland habe Philosophie nicht gekannt, keine Philosophie, höchstens Kulte, und auch diese seien unerforscht und nichts anderes als geistiger Irrtum.
    Um mich zu beruhigen, fuhr ich schließlich nach Mainz. Ich hatte einen Tag gewählt, an dem ich sie bei ihrer Arbeit im Lesesaal wußte. Ich hatte mich mit einem Übungsleiter des Fachs Biologie getroffen, ein Vorwand hatte herhalten müssen, und ich hatte ihn gebeten, Sarah von meinem Besuch nichts zu erzählen. Er hatte nur Lobendes über sie zu berichten gewußt, sie sei eine Ausnahmeerscheinung, ohne Zweifel die vielversprechendste Studentin seit Jahren. Ich hatte vorsichtig Zweifel anklingen lassen, doch er hatte sie mit wenigen
Worten weggewischt, er kenne diesen Typus hochintelligenter Konstanz, Sarah sei prädestiniert für eine Karriere in diesem Fach; wenn man ihr helfen wolle, dann dadurch, daß man sie in dem Entschluß bestärke, die Philosophie fallenzulassen, derartige Spekulationen seien sowieso nur etwas für Müßiggänger und in ihrem Fall gewiß überflüssig; ein Mensch mit ihren Anlagen habe Alibibeschäftigungen nicht nötig.
    Ich verstand ihn, Alibibeschäftigungen waren auch mir zuwider, andererseits wollte ich mit Sarah nicht darüber verhandeln, denn ich war nicht zuständig für ihre Interessen, und es war nicht auszuschließen, daß die Philosophie für sie doch etwas Unterhaltendes hatte. Die Treffen in unserer Wohnung hatte sie eingestellt, auch auf Fragen danach war sie nicht zu bewegen gewesen, sich länger in ein Gespräch einzulassen; sie hatte nur erwidert, die Kommilitonen seien nicht bei der Sache und die Sache verlange Einsatz, der ohne Rücksichten auskommen müsse.
    Mit diesen Reden hielt sie mich hin; in meiner Hilflosigkeit hatte ich sogar mit Mutter darüber gesprochen, doch sie hatte mich in ihrer bekannten Art nur vertröstet, was ich erzähle, sei ihr geläufig, Sarah habe schon zu Hause in den letzten Jahren verborgen gelebt, unwillig, sich an irgendwelchen Familienunternehmungen zu beteiligen; selbst das Spülen habe sie für überflüssig gehalten, sie habe erklärt, benutzte Tassen seien nicht schmutzig, sondern weiter verwendbar.
     
    Ich hatte nichts weiter zu unternehmen gewagt, als mich an einem Freitag, kurz vor der Mittagspause, ein Anruf Dreisens erreichte; Dreisen verlangte, mich zu sprechen, er gab an, er halte sich zufällig in Wiesbaden auf und es sei ihm ein Bedürfnis, Sarahs Bruder bei dieser Gelegenheit über einige
merkwürdige Vorfälle zu unterrichten. Ich konnte meine Abneigung, ihn zu treffen, kaum
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