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Afterdark

Afterdark

Titel: Afterdark
Autoren: Haruki Murakami
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Fenster im ersten Stock, dessen cremefarbene Jalousie heruntergelassen ist, dringen wir lautlos in Eri Asais Zimmer ein.
    Mari schläft, an ihre Schwester geschmiegt, in deren Bett. Leise, regelmäßige Atemzüge sind zu hören. Soweit wir sehen, ist ihr Schlaf ruhig und friedlich. Vielleicht hat ihr Körper sich erwärmt, denn ihre Wangen sind ein wenig röter als zuvor. Stirnhaare hängen ihr über die Augen. Vielleicht träumt sie oder erinnert sich an etwas, denn ihre Mundwinkel umspielt der Schatten eines Lächelns. Mari ist lange durch die Dunkelheit gegangen, hat Worte mit den Menschen der Nacht gewechselt, denen sie dort begegnet ist, und ist nun endlich an ihren eigenen Platz zurückgekehrt. In ihrer Umgebung gibt es zumindest im Augenblick nichts, das sie bedroht. Sie ist neunzehn, ein Dach und Wände beschützen sie. Der Rasen im Garten, eine Alarmanlage, ein frisch gewachster Kombi und die klugen großen Hunde, die in der Nachbarschaft spazieren gehen. Sanft umhüllt und wärmt sie das durch das Fenster eindringende Morgenlicht. Maris linke Hand liegt in natürlicher Haltung geöffnet auf Eris über das Kissen gebreitetem schwarzem Haar. Die weichen Finger sind locker gekrümmt.
    Über Eri lässt sich nur sagen, dass weder an ihrer Haltung noch an ihrem Ausdruck eine Veränderung wahrzunehmen ist. Sie scheint überhaupt nicht zu bemerken, dass ihre Schwester zu ihr unter die Decke gekrochen und eingeschlafen ist.
    Doch wenig später bewegen sich Eris zierliche Lippen, als reagierten sie auf etwas, und zucken für einen Moment, vielleicht eine Zehntel Sekunde. Aber dem reinen, geschärften Blick, der wir sind, entgeht diese Bewegung nicht, wir nehmen dieses winzige Körpersignal wahr. Vielleicht ist dieses Zucken ja ein schwaches Vorzeichen. Oder die schwache Ahnung eines Vorzeichens. Wie dem auch sei, wir haben den sicheren Eindruck, dass Eri ihr Bewusstsein einen winzigen Spalt öffnet und uns irgendein Zeichen schicken will.
    Aufmerksam und ruhig versuchen wir zu beobachten, wie diese Ahnung langsam, von obskuren Kräften ungestört, im neuen Morgenlicht anschwillt. Endlich ist die Nacht vorbei. Und bis zur nächsten Dunkelheit ist noch viel Zeit.
     
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