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Afterdark

Afterdark

Titel: Afterdark
Autoren: Haruki Murakami
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Noten mit oder pflegen ihre Instrumente. In den Intervallen des Solos ertönen anfeuernde Zurufe.
    Da die kahlen Wände einen starken Hall erzeugen, benutzt der Drummer fast nur die Besen. Auf dem aus langen Brettern und Rohrstühlen provisorisch hergerichteten Tisch herrscht ein Durcheinander von leeren Pizzaschachteln, Bechern mit Kaffee, Pappbechern, dazwischen Noten, ein kleines Tonbandgerät und ein Saxophonplättchen. Da der Raum praktisch ungeheizt ist, spielen alle in Mänteln und Jacken. Einige, die Pause machen, haben sich Schals umgewickelt und tragen Handschuhe. Eine recht seltsame Szene. Takahashis langes Solo endet, und der Bass spielt einen Solochorus. Als er zu Ende ist, greifen die vier Bläser das Thema noch einmal auf.
    Anschließend gibt es zehn Minuten Pause. Nach der langen Probe sind alle müde und schweigsamer als sonst. Um sich auf die nächste Nummer vorzubereiten, streckt man sich, trinkt etwas Heißes, isst ein paar Kekse oder geht nach draußen, um eine zu rauchen. Nur das Mädchen mit den langen Haaren am Klavier bleibt die ganze Zeit an ihrem Instrument sitzen und probiert verschiedene Tonfolgen aus. Takahashi setzt sich auf einen Rohrstuhl, ordnet seine Noten, nimmt seine Posaune auseinander, schüttelt das Kondenswasser aus und packt sie, nachdem er sie mit einem Tuch leicht abgewischt hat, in ihren Koffer. Anscheinend hat er nicht die Absicht, das nächste Stück mitzuspielen.
    Der lange Bassist geht zu ihm hinüber und klopft ihm auf die Schulter. »Klasse Solo. Viel Gefühl.«
    »Danke«, sagt Takahashi.
    »Du hörst ab heute auf, Takahashi, oder?«, sagt ein langhaariger Mann, der Trompete gespielt hat.
    Ja, ich hab zu viel zu tun«, sagt Takahashi. »Tut mir leid, dass ich euch alles allein aufräumen lasse.«
    05:00 Uhr
    Die Küche in Shirokawas Wohnung. Mit dem Gongschlag beginnen die Fünf-Uhr-Nachrichten von NHK. Der Ansager blickt in die Kamera und verliest pflichtgetreu die Nachrichten. Shirokawa sitzt am Esstisch und dreht den Ton ein bisschen auf, sodass man ihn hören oder auch überhören kann. Shirokawas Krawatte hängt über der Stuhllehne, die Hemdärmel hat er bis zu den Ellbogen aufgerollt. Der Joghurtbecher ist inzwischen leer. Nicht dass Shirokawa die Nachrichten dringend sehen möchte. Keine einzige Meldung weckt sein Interesse, aber das wusste er schon vorher. Er kann nur nicht einschlafen.
    Mehrere Male öffnet und schließt er über dem Tisch langsam die rechte Hand. Es ist nicht nur sie, die schmerzt, auch die dazugehörige Erinnerung. Er holt sich eine grüne Flasche Perrier aus dem Eisschrank und kühlt damit seinen Handrücken. Anschließend öffnet er den Schraubverschluss, schenkt sich ein Glas ein und trinkt. Er nimmt die Brille ab und massiert sich behutsam die Augengegend, aber es stellt sich keine Schläfrigkeit ein. Sein Körper mahnt und klagt berechtigtermaßen über Erschöpfung, doch sein Verstand lässt ihn nicht schlafen. Etwas blockiert ihn. Er kommt an diesem Etwas nicht vorbei. Ergeben setzt Shirokawa die Brille wieder auf und schaut auf den Fernsehschirm. Es geht um die fallenden Exportpreise für Eisen und Stahl. Die Maßnahmen der Regierung gegen den plötzlichen Kursanstieg des Yen. Eine Mutter hat Selbstmord begangen und ihre Kinder mit in den Tod genommen. Aus einem Auto ist Benzin ausgelaufen und hat ein Feuer verursacht. Das Bild eines verbrannten Wagens. Er raucht noch. In der Stadt beginnt allmählich der Trubel des Weihnachtsgeschäfts.
    Die Nacht nähert sich ihrem Ende, aber für Shirokawa will sie einfach nicht weichen. Bald wird seine Familie aufstehen. Bis dahin will er unbedingt eingeschlafen sein.
    05:07 Uhr
    Das Zimmer im Hotel »Alphaville«. Mari sitzt allein da im Sessel versunken und schläft. Auf dem niedrigen Glastisch liegen ihre beiden weiß bestrumpften Füße. Ihr Gesicht wirkt entspannt. Ihr dickes Buch liegt, etwa bis zur Hälfte gelesen, aufgeschlagen und mit dem Rücken nach oben auf dem Tisch. Die Deckenbeleuchtung brennt, aber die Helligkeit scheint Mari nicht zu stören. Der Fernsehapparat ist ausgeschaltet, es herrscht Stille. Das Bett ist ordentlich gemacht. Außer dem monotonen Brummen der Klimaanlage an der Decke ist kein Laut zu hören.
    05:09 Uhr
    Eri Asais Zimmer.
    Unversehens ist Eri Asai wieder auf dieser Seite. Sie ist wieder in ihrem Zimmer und schläft in ihrem Bett. Das Gesicht zur Decke gewandt, liegt sie da und rührt sich nicht. Nicht einmal ihr Atem ist zu hören. Es ist die gleiche
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