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Affaere in Washington

Affaere in Washington

Titel: Affaere in Washington
Autoren: Nora Roberts
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konnte sie wieder atmen. Vielleicht war sie nur so überstürzt aus Washington geflohen, um dort nicht zu ersticken. Hier war die Atmosphäre sauber und belebend. In diesen nördlichen Gefilden war es dem Sommer noch nicht gelungen, die Frühlingsstimmung zu verdrängen. Das gefiel Shelby, die Zeit sollte nicht so rasch vergehen.
    Sie erkannte den hohen Leuchtturm auf der schmalen Landzunge, die sich herausfordernd ins Meer erstreckte. Keine Menschenseele war zu sehen. Hier fand Grant seinen Frieden und die Ruhe für sein Herz. Würde es auch ihr gelingen, in dieser Einsamkeit mit sich ins Reine zu kommen?
    Langsam wurde es hell. Als ihr Flugzeug landete, war es noch finstere Nacht gewesen. Die aufgehende Sonne schüttete Glanz und Farbe ins Meer. Einzelne Möwen kreisten, tauchten und überflogen wieder die Felsen und das schäumende Wasser. Zuweilen drangen ihre schrillen Schreie durch das tosende Brausen der Brandung. Shelbys verkrampfte Hände lockerten sich, sie fuhr langsamer. Die kurvenreiche Straße hatte ihre ganze Aufmerksamkeit erfordert. Nun, da sie sich nicht mehr so stark zu konzentrieren brauchte, kehrten die Gedanken zurück, ob sie es wollte oder nicht.
    Der Strand war leer, als Shelby den Wagen verließ. Ein leichter Wind wehte ihr kühl und würzig um die Nase. Der Anblick des grauen Leuchtturms beeindruckte sie stets aufs Neue. Hier und dort mochte er ein wenig verfallen und vom Wetter angefressen sein, aber er strahlte Macht aus, zeitlose, lebensrettende Kraft. Ein sicherer Ort, um sich vor Stürmen aller Art zu verkriechen.
    Shelby nahm ihre Tasche aus dem Kofferraum und ging auf die Eingangstür zu. Wie sie Grant kannte, hatte er abgeschlossen. Er gab niemandem Gelegenheit, sich unangemeldet zu nähern. Sie schlug, so kräftig sie konnte, mit der Faust gegen das Holz und schloss mit sich selbst eine Wette ab, wie lange Grant das Klopfen unbeachtet lassen würde. Gehört hatte er es natürlich sofort – Grant entging nichts –, aber trotzdem nahm er sich reichlich Zeit. Es fiel ihm immer schwer, jemandem Eintritt in seine Eremitenklause zu gewähren.
    Shelby machte sich wieder bemerkbar und beobachtete dabei, wie die Sonne am Himmel höher stieg. Nach vollen fünf Minuten wurde die Tür einen Spaltbreit geöffnet.
    Er wird unserem Vater immer ähnlicher, dachte Shelby überrascht. Das offene Gesicht mit den intelligenten Augen wies ein paar neue Falten auf, die Haare waren ein wenig zu lang. Schlaftrunken blinzelte er ins Morgenlicht.
    »Was, in aller Welt, suchst denn du hier?«, fragte er nicht eben freundlich und rieb sein unrasiertes Kinn.
    »Ein typischer Gutenmorgengruß von Grant Campbell.« Shelby stellte sich auf die Zehen und küsste den Bruder trotzdem.
    »Wie spät ist es eigentlich?«
    »Noch früh.«
    Mit einem unterdrückten Fluch trat Grant zur Seite, um Shelby einzulassen. Das Wachwerden fiel ihm sichtlich schwer. Dann schloss er die Tür wieder, drehte den Schlüssel um und folgte der Schwester die steile, knarrende Holztreppe hinauf zu seinen Wohnräumen.
    Oben angekommen nahm Grant Shelby bei den Schultern und musterte sie mit raschem, durchdringendem Blick.
    Sie ließ es geschehen, man konnte vor Grant ohnehin nichts verbergen.
    »Was ist verkehrt gelaufen?«, fragte er knapp.
    »Wie meinst du das?« Shelby warf ihre Tasche auf einen Sessel, der dringend hätte aufgepolstert werden müssen. »Warum sollte etwas verkehrt sein? Kann ich dich denn nicht einmal besuchen?« Sie betrachtete ihren Bruder prüfend. Zugenommen hatte er jedenfalls nicht, man konnte ihn zwischen mager und dünn einordnen. Aber er strahlte Kraft und Ruhe aus, wie alles hier. Und deshalb war sie zu ihm gekommen, »Kochst du den Kaffee?«
    »Ja.« Grant begab sich durch das Durcheinander des Wohnraumes in eine erstaunlich saubere, aufgeräumte Küche. »Frühstückst du mit mir?«
    »Immer.«
    Schon wesentlich freundlicher schnitt er einige Scheiben Schinken vom Stück. »Du bist schmal, Mädchen«, meinte er.
    »Besten Dank. Dann sind wir uns ja ähnlich.«
    Er murmelte etwas Unverständliches. »Wie geht es Mutter?«, fragte er schließlich.
    »Gut, denke ich. Wahrscheinlich wird sie den Franzosen heiraten.«
    »Dilleneau – mit den großen Ohren und dem begrenzten Verstand.«
    »Du sagst es.« Shelby ließ sich auf einen Stuhl fallen. Das Fett in der Pfanne begann zu brutzeln. »Wirst du ihn unsterblich machen?«
    »Das kommt darauf an.« Die Geschwister lachten sich verständnisinnig zu. »Mutter
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