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Affaere in Washington

Affaere in Washington

Titel: Affaere in Washington
Autoren: Nora Roberts
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Tante Emmas Käfig beschäftigt. Den Wassernapf in der einen Hand, hob sie mit der anderen den Hörer ab.
    »Shelby Campbell?«
    »Ja.« Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Die Donnerstimme war nicht zu verkennen. »Hallo, Daniel MacGregor.«
    »Hast du dein Geschäft schon geschlossen für heute?«
    »Mittwochs arbeite ich mit Ton«, erklärte sie und klemmte den Hörer zwischen Kinn und Schulter, um den Napf wieder in den Papageienkäfig setzen zu können. »Aber damit bin ich fertig. Wie geht es Ihnen und Mrs. MacGregor?«
    »Gut, danke, Mädchen. Wenn ich das nächste Mal in Washington bin, werde ich mir deinen Laden ansehen.«
    »Gut.« Sie hockte sich auf die Sessellehne. »Hoffentlich gefällt Ihnen etwas, und wir können ein Geschäft machen.«
    Daniel lachte vergnügt in sich hinein. »Habe nichts dagegen, wenn deine Hände so geschickt sind wie deine Zunge. Die Familie hat Pläne für das verlängerte Wochenende vom vierten Juli. Wir fahren zu den Komantschen nach Atlantic City.« Er räusperte sich. »Diese Einladung möchte ich auf dich ausdehnen und hierdurch persönlich herzlichst übermitteln.«
    Shelby überlegte: der vierte Juli, Unabhängigkeitstag. Das hieß Feuerwerk, Hotdogs und Bierzelte. Weniger als einen Monat war es bis zu diesem Tag, die Zeit verging viel zu schnell. Sie würde mit Alan am Strand stehen und beobachten, wie der Himmel nach Sonnenuntergang die Farbe des Meeres annahm. Aber die Zukunft war so ungewiss …
    »Vielen Dank für die Einladung, Daniel MacGregor, ich würde gern kommen.« Das wenigstens ist keine Lüge, dachte Shelby. Ob ich dann wirklich komme, ist eine andere Frage.
    »Du passt gut zu meinem Sohn«, fuhr der Senior fort, dem ihr kurzes Zögern nicht entgangen war. »Dass ich jemals so etwas von einem Mitglied der Campbells sagen würde, hätte ich selbst nicht geglaubt. Du bist stark und intelligent. Und mit dir kann man lachen. Gutes Blut hast du in deinen Adern, schottisches Blut, Shelby Campbell. Es wird mir in den Enkeln wiederbegegnen.«
    Shelby lachte, denn die Tränen waren ihr so schnell in die Augen geschossen, dass sie über ihr Gesicht rannen. »Sie sind ein Pirat, Daniel MacGregor, und ein listiger Schmeichler!«
    »Also abgemacht. Auf Wiedersehen bei den Komantschen!«
    »Leben Sie wohl, Daniel!«
    Langsam legte Shelby den Hörer zurück und presste dann die Fäuste auf ihre Augen. Wegen ein paar alberner Worte würde sie keinen Weinkrampf bekommen. Seit dem ersten Erwachen in Alans Armen war es ihr klar gewesen, dass sie von nun an etwas vor sich herzuschieben versuchte, das dennoch mit unumstößlicher Gewissheit auf sie zukam. War sie richtig für ihn? Daniel war dieser Meinung, aber er konnte nur die Oberfläche erkennen. Was wusste er davon, wie viel Grausames sich darunter verbarg? Das ahnte nicht einmal Alan.
    Es war nie verblasst! Gegenwärtig und lebendig lauerten die Erinnerungen in der Tiefe ihres Herzens – seit jenem Tag vor langen Jahren.
    Wenn sie die Augen schloss, konnte sie noch heute die drei schnell aufeinanderfolgenden Explosionen hören – die Todesschüsse. Das Bild erschien vor ihrem geistigen Auge: wie ihres Vaters Körper zuckte, wie er plötzlich zu Boden sank, unmittelbar neben Shelbys Füße. Schreiende, durcheinanderlaufende Menschen, Panik ringsum – und das Blut des sterbenden Vaters auf ihrem Kleid.
    Jemand hatte dann das Kind zur Seite geschoben, um dem Opfer zu helfen. Shelby war einfach auf dem glänzenden Parkett sitzen geblieben. Niemand kümmerte sich um sie.
    Wie kann ein Geschehen von wenigen Sekunden für ein ganzes Leben zum Albdruck werden?
    Dass ihr Vater tot war, brauchte ihr keiner zu sagen. Sie wusste es. Aus nächster Nähe hatte sie beobachten müssen, wie das Leben seinen Körper verließ. Auch ihr Leben war damals getroffen worden.
    »Nie wieder«, stöhnte Shelby und vergrub den Kopf in ihren Armen. »Ich könnte es nicht noch einmal ertragen.«
    Es klopfte an der Tür. Das musste Alan sein. Mit aller Kraft drängte Shelby die Tränen zurück, atmete tief und öffnete.
    »Hallo, MacGregor. Heute gibt es nichts. Kein Essen. Nichts.«
    »Das habe ich befürchtet«, entgegnete Alan lächelnd. Er hielt eine einzige Rose in der Hand, deren Blütenblätter die Farbe von Shelbys Haar hatten.
    Es ist nur eine Aufmerksamkeit, wollte sich Shelby einreden, nichts von besonderer Bedeutung.
    Aber Alan würde nie etwas Zufälliges tun, das wusste sie genau. Die Rose sollte ein Zeichen sein. Ein
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