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Acht Tage im August

Acht Tage im August

Titel: Acht Tage im August
Autoren: Michael Winter
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man schon mal unauffällig zwei Sprossen auf einmal nehmen konnte. Wobei Hammer und Assauer in ihrer Beurteilung dieser Person durchaus uneins waren und darüber stritten, ob es sich bei ihr um die Pest handelte oder um die Cholera.
    »Er hat verdammtes Glück gehabt«, sagte die Erdmann. »Ich hab mir echt Sorgen gemacht.«
    Dass sie, wie Assauer erfahren hatte, die ersten beiden kritischen Nächte an Waldhausers Krankenbett gewacht und den Ärzten dort den letzten Nerv geraubt hatte, erwähnte sie nicht. War auch nicht nötig. Allein die Aussage, dass sie sich ›Sorgen gemacht‹ hatte, signalisierte, dass Waldhauser auf ihrer persönlichen Werteskala für Mitmenschen dort rangierte, wo die Luft dünn wurde. Damit befand sie sich in unausgesprochener Übereinstimmung mit seinen beiden Untergebenen.
    Sie tranken wie gewohnt ihren Kaffee, bevor sie sich dem aktuellen Fall zuwandten. Was sie nicht ungestört tun sollten. Vom Gang her erklang nämlich, noch ehe sie fertig waren, ein Stakkato wie von Pferdehufen. Die Tür schwang auf und es sah aus, als schöbe wer ein lebensgroßes Modefoto durch den Rahmen. Grauer, auf Figur geschnittener Hosenanzug mit unübersehbarem Escada Logo, Handtasche mit demselben Emblem, hochhackige Pumps und eine – weil überflüssig bei dem Wetter – in die langen schwarzen Haare hochgeschobene Insektenaugen- Sonnenbrille. Das alles ergänzt durch ein Paar Ohrringe, die aussahen wie aus dem Kaugummiautomaten, aber sicher sündteuer waren, und eine mit Brillis besetzte Armbanduhr. Auftritt Petra Gerstmann!
    Für die Aufmachung muss eine alte Frau lang stricken, dachte Assauer. Hammer flüsterte er zu:»Die brauch ich wie die Scheißerei.«
    Dann, in erkennbar überfreundlichem Ton, stellte er vor: »Dr. Monika Erdmann, unsere Pathologin, Petra Gerstmann, unsere Interims-Chefin.«
    »Ich habe auch einen Doktortitel!«, raunzte Petra Gerstmann spitz.
    »Stimmt«, räumte Assauer ein und setzte hinzu, »aus Innsbruck!« Wobei Tonfall und Mundwinkelstellung unmissverständlich ausdrückten, dass er die allgemeine Geringschätzung der dort verliehenen akademischen Weihen teilte.
    Petra Gerstmann zog es vor, das zu überhören.
    »Kann man hier auch einen Kaffee kriegen?«, fragte sie.
    Die Erdmann ignorierte es. Ihr verächtlicher Gesichtsausdruck verriet Assauer, dass sie so was dachte wie: ›Einen Schierlingsbecher kannst’ haben.‹
    Sie marschierte nach nebenan und winkte den anderen hinterherzukommen.
    Annas nackter Leichnam lag dort auf einer Edelstahlbahre. Das grünweiße Neonlicht von der Decke unterstrich die kalte Endgültigkeit ihres Todes. Assauer fröstelte, und das nicht nur wegen der niedrigen Temperatur im Raum. Trotz des harten Lichts und der Veränderungen, die der Tod bewirkt hatte, war nicht zu übersehen, was für eine Schönheit Anna gewesen sein musste, als sie noch atmete und lachte und lebte. Schon auf dem Friedhof, als er ihren Leichnam nur kurz in Augenschein genommen hatte, war ihm das aufgefallen. Er empfand es als peinlich, dass sie hier, vollständig nackt den Blicken aller ausgesetzt, wie zur Schau gestellt, lag, weil Monika Erdmann sich nicht die Mühe gemacht hatte, eine Decke über sie zu breiten.
    Die Pathologin nahm ein Klemmbrett vom Kopfende des Tisches.
    »Viel hab’ ich nicht«, begann sie und referierte in sachlichem Ton: »Die Todesursache war eindeutig der Sturz. Schädelfraktur und eine Reihe innerer Verletzungen. Sie war aber nicht sofort tot, sondern hat noch eine Weile gelebt, daher das viele Blut. Hätte man sie gleich gefunden, wäre sie vielleicht noch zu retten gewesen. Vielleicht, wohlgemerkt. Aber bei dem Sauwetter war ja niemand vor der Tür. Todeszeitpunkt, wie gesagt, zwischen vier und fünf Uhr nachmittags. Alkohol, Drogen – negativ. Anhaftungen oder fremde DNA natürlich auch negativ. Wenn da was war, hat’s der Regen weggewaschen. Auch keinerlei Spuren von Gewaltanwendung, Abwehrverletzungen oder Ähnlichem. Klassischer Suizid also, wenn Sie mich fragen, aber ich liefere nur die Fakten, interpretieren müssen Sie sie schon selbst. Eins ist vielleicht noch interessant«, sie nahm einen Probenträger vom Mikroskop, »Latexspuren in der Vagina, das heißt, Anna hatte Geschlechtsverkehr – mit Kondom –, vielleicht sogar an ihrem letzten Tag. Natürlich auch hier keine DNA-Spuren, eben wegen des Kondoms. Eines mit Bananen-Geschmack übrigens«, sie hielt Petra Gerstmann den Probenträger unter die Nase, »wollen Sie mal
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