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Acht Tage im August

Acht Tage im August

Titel: Acht Tage im August
Autoren: Michael Winter
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aufstand, um sie zu verabschieden, erschien er Assauer trotz seiner Größe fragil und schwach, wie ein waidwundes Tier. Sein Händedruck war nur noch ein Hauch.
    Es war schon nach neun, als Hammer und Assauer wieder unten im Auto saßen.
    »Jetzt muss er’s noch seiner Frau sagen«, bemerkte Hammer.
    Assauer nickte bekümmert. »Und das auch noch am Telefon.«
    »Geh’n wir noch auf einen Drink?«, fragte Hammer.
    »Sind wir am Freitagabend schon mal keinen trinken gegangen?«, fragte Assauer zurück.
    Sie landeten im Shamrock Irish Pub, aber auch ein paar Gläser Single Malt konnten das Bild des toten Mädchens nicht aus ihren Köpfen spülen und ein Gespräch wollte zwischen ihnen nicht so recht aufkommen. So gingen sie früher als sonst. Als sie sich vor dem Pub trennten, ließ Hammer den Wagen stehen und trottete zu Fuß davon. Assauer hörte ihn noch halblaut vor sich hin brummen: »So ein Scheiß, springt da eine Sechzehnjährige splitterfasernackt von einem Kirchturm.«

    ***

    Claudia Friese schob sich genüsslich eine Sushi-Rolle in den Mund. Sie hatte das Kunststück fertiggebracht, im Takeshi, dem angesagtesten japanischen Restaurant Hannovers , das zu Messezeiten regelmäßig aus den Nähten platzte, noch einen Tisch zu ergattern. Die authentische japanische Küche und das exquisite Ambiente hier waren ein Rahmen nach ihrem Geschmack, um zu feiern. Der Tag war ein Erfolg gewesen. Der heutige Abschluss allein lohnte schon den ganzen Messeauftritt ihrer Ruhstorfer Dental-Keramik-Firma und sicherte für die kommenden beiden Jahre eine beträchtliche Auslastung.
    Ihr Chef, Dr. Richard Grabner, der am Kopfende des Tisches thronte, stand auf.
    »Meine Dame, meine Herren, auf unsern Abschluss und weitere gute Zusammenarbeit, prost!« Er erhob das Glas und nahm einen Schluck. Die Angesprochenen taten es ihm gleich. Dr. Grabner lehnte sich zufrieden zurück.
    »Kompliment Ihrer charmanten Verkaufsleiterin!«, rief Wolfgang Leitmann, Einkäufer der Kroll-Meditec, vom anderen Tischende. »Sie steckt uns alle nicht nur mit ihrer technischen Expertise in die Tasche. Sie macht auch beim Verhandeln keine Gefangenen. Sie hat uns, wenn Sie mir den Ausdruck gestatten, ganz schön die Hosen ausgezogen.«
    Dr. Grabner hob entschuldigend die Hände.
    »Ich bekenne mich schuldig«, sagte er mit gespielter Reue. »Gerade wegen dieses Talents hab’ ich sie auf jeder Messe dabei«, fügte er hinzu.
    Claudia Friese fühlte, wie sie rot wurde angesichts dieser kaum verholenen Anspielung auf seine allabendlichen Quickies mit ihr, den schnellen, prickelnden, unverbindlichen Sex alljährlich während der Messetage. Meist zwischen Hallenschluss und Abendessen. Wellness im Messestress, willkommene Abwechslung zur ehealltäglichen Bettroutine. Nichts, weswegen sie ein schlechtes Gewissen bekam. Nicht bei ihrer festgefahrenen Ehe.
    Ihr Handy piepte aus der Handtasche. Walter, ihr Mann, erkannte Claudia am charakteristischen Ton. Claudia fischte ihr iPhone aus der Tasche.
    »Ich bin gerade mit Kunden beim Abendessen, können wir später telefonieren?«, sagte sie kurz angebunden. Dann, einen Moment darauf, zum Tisch gewandt: »Bitte entschuldigen Sie mich einen Augenblick. Es ist dringend.«
    Sie stand auf und ging ins Foyer, wo das Stimmengewirr aus dem Lokal aber kaum schwächer war.
    »Was ist los, was ist mit Anna? Sag schon!«, drängte sie ihren Mann am anderen Ende und hielt sich das zweite Ohr zu, um ihn besser zu verstehen.
    Nach seinen ersten Worten musste sie sich an eine der schwarz lackierten Säulen lehnen, die das japanische Deckendekor des Foyers stützten. Während er weitersprach, glitt sie, mit dem Rücken an der Säule, langsam in die Knie, kauerte schließlich da wie ein kleines, heulendes Kind. Die Tränen ließen ihr Make-up verlaufen und sie musste mehrmals ansetzen, um den Satz herauszubringen: »Ich … ich komm’ nach Hause.«

Samstag
    Walter Friese ließ Atlas, den Hengst seiner Frau, später als gewöhnlich aus der Box auf die Koppel. Das Tier schnaubte ungeduldig und rannte unruhig hin und her, als sehe es ihm an, dass etwas nicht in Ordnung war, während er sich daran machte, die Box auszumisten und frisches Wasser in die Tränke zu füllen. Atlas war es gewöhnt, dass Claudia oder Anna ihn frühmorgens mit einer Handvoll Äpfeln oder Karotten verwöhnten und ins Freie schickten. Friese ging zu ihm hin. »Du merkst, dass was nicht stimmt, oder?«, fragte er den Hengst, klopfte ihm beruhigend auf den
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