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Acht Tage im August

Acht Tage im August

Titel: Acht Tage im August
Autoren: Michael Winter
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kleinem, hochstehendem Haarschopf. Hammer ließ sie herankommen.
    »Ihr wisst Bescheid?«, fragte er.
    »Ja, wo geht’s rauf?«
    »Ich geh’ vor«, antwortete Hammer. »Ich will mich eh’ noch droben umsehen.«
    »Viel werdet ihr nicht finden«, unkte Assauer. »Da waren vorgestern jede Menge Kinder droben und außerdem hat der Wind aufgefrischt und pfeift durch.«
    Es dauerte nicht lang, bis Hammer zurückkam.
    »Nix«, bemerkte er achselzuckend.
    »Sag ich doch«, versetzte Assauer. »Und jetzt?«
    »Jetzt müssen wir den Eltern Bescheid sagen«, seufzte Hammer.
    Der Pfarrer stand auf. »Ich könnte mitkommen.«
    »Nein, lassen Sie nur. Schau’n Sie lieber nach Ihrem Seminaristen. Der sieht aus, als könnt’ er’s brauchen«, meinte Assauer und wandte sich zum Ausgang. Hammer ging hinter ihm drein.
    Was jetzt kam, wusste er, würde schlimm werden.
    Sie fuhren zum Bauernhof der Familie, trafen dort aber nur die Haushälterin an. Von ihr erfuhren sie, dass Annas Mutter auf einer Messe in Hannover war und der Vater freitagabends stets länger in der Praxis blieb, um den Papierkrieg der Woche nachzuarbeiten. Sie sagten nichts von Anna und machten sich auf den Weg nach Passau zu ihrem Vater.
    Unterwegs hingen beide ihren Gedanken nach, verarbeiteten, was sie gesehen hatten.
    »Eines versteh’ ich nicht«, sagte Assauer nach einer Weile in das Schweigen.
    »Ihre Kleider meinst du, oder?«, fragte Hammer.
    »Ja, ist doch eigenartig.«
    »Und ob! Das ist schon seltsam, dass das Mädchen, bevor es gesprungen ist, seine Kleider noch ganz sorgfältig zusammengelegt und seine Schuhe dazugestellt hat, als wollte sie die Sachen gleich wieder anziehen. Schlau werd ich da nicht draus.«
    »Ich auch nicht.«
    Den Rest des Wegs fuhren sie wortlos. Jeder dachte dasselbe: Wie bringt man einem Vater bei, dass sein Kind tot ist?
    ›Professor Dr. Walter Friese – Implantologie und Kieferchirurgie‹ stand auf dem Messingschild des schicken Hauses am Residenzplatz, in dem Annas Vater seine Praxis hatte. Die Haustür war offen und sie stiegen hoch in den ersten Stock.
    »Die Praxis ist schon geschlossen«, empfing sie eine Sprechstundenhilfe an der Rezeption.
    »Aber die Tür ist noch auf«, erwiderte Hammer. »Wir müssen zu Professor Friese.« Er hielt ihr seine Polizeimarke unter die Nase. Sie stutzte.
    »Zwei Herren von der Polizei für Sie, Herr Professor«, sagte sie in pikiertem Ton in ihre Sprechanlage und wies gleichzeitig auf eine Tür gegenüber ihrer Theke.
    »Beeilen Sie sich bitte, es kommt gleich noch ein Patient mit Zahnschmerzen«, forderte sie Hammer auf.
    »Den schicken’s zur Bereitschaft«, sagte Assauer trocken und folgte Hammer.
    Professor Friese erhob sich, um sie zu begrüßen, das heißt, er erhob sich nicht, er wuchs hinter seinem Schreibtisch zu erschreckender Größe empor. Sein Händedruck ließ erkennen, dass er auch den widerspenstigsten Weisheitszahn bloß mit zwei Fingern ziehen konnte. Falls er seine Riesenpratzen überhaupt in einen Mund hineinbekam, wie Assauer unwillkürlich denken musste.
    Hammer kramte umständlich nach seinem Dienstausweis und reichte ihn über den Schreibtisch, wie um noch einen Augenblick zu gewinnen, bevor er das Unvermeidliche doch sagen musste.
    »Wir kommen wegen Ihrer Tochter Anna«, begann er und fuhr fort, »es ist etwas sehr Schlimmes passiert.«
    Assauer war froh, dass Hammer das Reden übernahm und er selbst sich auf’s Zuhören beschränken konnte.
    Es wurde ein langes Gespräch, aber Assauer war klar, dass der Mann da hinter dem Schreibtisch immer nur eines begriff: Anna ist tot, Anna lebt nicht mehr, meine Tochter wird nie mehr heimkommen. Dass er es immer wieder hörte, es aber nicht verstand. Wie auch sollte ein Vater verstehen, dass sein Kind, mit dem er noch am Morgen gefrühstückt hatte, – nach allem was sie wussten – auf einen Turm gestiegen und runtergesprungen war? Dass Anna dabei nackt gewesen war, verschwieg Hammer. Es war so schon schlimm genug. Hammer verzichtete auch weitgehend darauf, Fragen zu stellen. Dafür würde, wenn nötig, später noch Zeit sein. Für den Augenblick beließ er es dabei, Annas Vater zu versichern, die Polizei werde die Umstände von Annas Tod genau untersuchen und biete ihm und seiner Frau professionelle psychologische Hilfe an.
    Professor Friese schüttelte dazu nur den Kopf.
    Assauer griff nicht in das Gespräch ein, beobachtete nur still, wie der Riese hinter seinem Schreibtisch nach und nach zerbrach. Als er
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