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Acht Tage im August

Acht Tage im August

Titel: Acht Tage im August
Autoren: Michael Winter
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riechen, Frau Doktor?«
    Die Gerstmann wich angewidert zurück und verzog das Gesicht. Hammer und Assauer drehten sich weg, um ihr Lachen zu verbergen. »Typisch Erdmann«, dachten beide.
    Die fuhr fort: »Ernie und Bert haben für’s Erste auch nichts Verwertbares. Kein Wunder, bei der Menge Leute, die in den letzten Tagen da oben waren. Ihren Bericht hab ich an meinen angehängt.« Sie nahm die Papiere vom Klemmbrett und gab jedem eine Kopie.
    »Ich hätte da noch ein paar Fragen«, sagte Petra Gerstmann.
    »Aber ich hab’ keine Antworten mehr«, beschied die Erdmann sie barsch. »Lesen Sie meinen Bericht, wenn Sie was nicht verstanden haben. Außerdem ist jetzt Samstagnachmittag und die Geschäfte machen bald zu. Ich muss noch für’s Wochenende einkaufen.«
    Mit diesen Worten schob sie die Bahre mit Anna in ein Kühlfach und verließ den fensterlosen Raum, nicht ohne das Licht auszuschalten.
    »Das ist doch die Höhe!«, tobte Petra Gerstmann.
    »Nein«, erklärte Hammer gelassen, »das ist die Erdmann, gewöhnen Sie sich dran.«

    1 hinterfotzig = heimtückisch
    2 hautig = elend

Sonntag
    Die Enten am Donauufer hatten noch ihre Köpfe unter den Flügeln, als Assauer vorbeijoggte. Er liebte es, sich in diesen frühen Morgenstunden auszulaufen. Eine Gewohnheit, die er schon in München angenommen hatte. In Passau hatte er bald Wege entlang Donau und Inn gefunden, die er gerne kurz nach Sonnenaufgang im ersten Morgenlicht entlangtrabte. Laufen war ihm mehr als nur Ausgleich für die Stunden im Bürosessel, mehr als Sport, auch wenn er durchaus sportlichen Ehrgeiz entwickelte und den alljährlichen München-Marathon noch immer unter drei Stunden schaffte. Laufen brachte Ordnung in das Durcheinander, das Beruf und Privatleben in seinem Kopf anrichteten. Beim Laufen kamen seine Gedanken in Reihe, löste sich Ballast, keimten neue Ideen, fanden Fragen Antworten und alle Trägheit fiel von ihm ab. Assauer scherte sich nicht um den Regen, der auch an diesem Sonntagmorgen jede Ahnung von Sommer ertränkte. Er ließ sich und seine Gedanken einfach im Rhythmus der Schritte treiben. Am Zusammenfluss von Donau und Inn wendete er, nahm den Weg am Inn entlang zurück zu seiner Wohnung. Dort angekommen, warf er die nassen Sportklamotten in den Wäschekorb und drehte die Dusche auf. Für den Augenblick war seine Welt in Ordnung. Nachdem er sich abgetrocknet und angezogen hatte, deckte er den Frühstückstisch – für zwei. Dann nahm er die Mappe mit den Berichten von Monika Erdmann und Ernie und Bert vom Wohnzimmertisch, wo er sie nach gründlicher Lektüre am Vorabend liegen gelassen hatte, legte sich auf die Couch und las noch einmal von vorne. Den Obduktionsbericht überflog er dabei nur, das Fazit der Erdmann gestern war ja eindeutig gewesen: keine Spuren von Fremdeinwirkung an Annas Körper. Der detaillierte schriftliche Bericht listete in knappen, präzisen Formulierungen alle Untersuchungsschritte und Ergebnisse auf und schloss mit den Worten: ›Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Untersuchung der Toten keine Anhaltspunkte für ein Einwirken dritter Personen ergab. Aufgrund der Auffindungssituation kann allerdings nicht ausgeschlossen werden, dass etwaige Spuren durch Witterungseinflüsse beseitigt wurden.‹
    Assauer schloss die Augen und ließ seine Eindrücke vom Glockenboden im Turm noch einmal vorbeiziehen. Die vielen Fußspuren von Kindern im Staub, den der auffrischende Wind verwehte und mit Regentropfen sprenkelte, ein zusammengeknülltes Bonbonpapier, das im Luftzug umherwirbelte, die schweren Glocken, die ihm bei all ihrer Stimmgewalt nichts erzählen mochten, und schließlich Annas Kleidung, sorgfältig zusammengelegt auf einem Balken. Seltsam! Wieso legte ein junges Mädchen, das verzweifelt genug war, sein Leben wegzuwerfen, Regenjacke, Bluse, Jeans, Slip, BH und Socken so akribisch auf einem Querbalken zusammen, als sollte die Kleidung nur ja nicht schmutzig werden, als wollte es sie gleich wieder anziehen, statt die Sachen einfach achtlos abzustreifen und liegen zu lassen, wo sie hinfielen? War das sorgfältige Zusammenlegen ihrer Kleider eine Art persönliches Ritual Annas vor ihrem letzten Schritt gewesen? Und warum hatte sie sich überhaupt ausgezogen, bevor sie sprang?
    Er öffnete die Augen wieder und blätterte weiter zum Spurensicherungsbericht, den wie üblich Ernie verfasst hatte. Er war gründlich wie gewohnt, mit einer Unzahl von Fotos, auch von Annas Leiche auf dem Grab, und erging
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