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Acht Tage im August

Acht Tage im August

Titel: Acht Tage im August
Autoren: Michael Winter
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Treppenhaus begegnet.
    »Lust auf ein Glas bei mir?«, hatte sie gefragt.
    Assauer hatte bejaht, seine Tüten in Katjas Flur gestellt und sich auf ihrer Couch niedergelassen. Er war zum ersten Mal seit Katjas Einzug wieder in ihrer Wohnung und staunte, wie seine Nachbarin es verstanden hatte, mit wenigen Möbeln und ein paar Accessoires ein Ambiente zu schaffen, in dem er sich spontan wohlfühlte. Katja brachte eine Flasche Montepulciano, Käse, Oliven und herrliches Weißbrot mit dunkler Kruste aus der Toskana. Sie redeten wie immer über Gott und die Welt, Katja lachte ihr unnachahmliches Lachen und er vergaß für kurze Zeit die Wirrnis des Falls, bei dem hinter der glänzenden Fassade einer Familie ein Drama zum Vorschein gekommen war.
    »Du trinkst kaum was«, hatte Katja mit Blick auf Assauers noch fast volles Glas gesagt, als es schon spät war.
    »Ich brauche einen klaren Kopf morgen«, hatte er ihr erklärt. »Ich muss jemanden überführen, dessen Opfer tot ist und gegen den ich nicht den geringsten Beweis habe.«
    Katja hatte einen Augenblick überlegt und dann skeptisch gefragt: »War er’s dann überhaupt?«

    Das Telefon schrillte in seine Gedanken. Er hob ab und meldete sich.
    Die Stimme am anderen Ende klang dünn, aber vertraut und süffisant wie gewohnt. Der Chef, Waldhauser!
    »Sag mal, Assauer«, kam es vom anderen Ende, »kann ich mir als leitender Beamter nicht mal mehr einen gepflegten Herzinfarkt genehmigen, ohne dass alle Gehirne in meiner Dienststelle auf Leerlauf zurückschalten?«
    Wenn Waldhauser diesen süffisanten Ton anschlug, war, wie Assauer sehr wohl wusste, ein Sturm im Anzug.
    »Ich wünsche«, kam es leise durch den Hörer, »dass ihr zwei bei mir im Klinikum antanzt. Meine Pumpe stottert zwar augenblicklich, aber mein Geruchssinn funktioniert vorzüglich und der sagt mir, dass die Kacke gewaltig am Dampfen ist. Also her mit euch und zwar mit Lichtgeschwindigkeit, bitt’ ich mir aus! Und wenn ihr zwei was damit zu tun habt, könnt ihr euch darauf gefasst machen, dass ich euch ungespitzt so tief in den Boden haue, dass ihr euch mit dem Grundwasser rasieren könnt.«
    »Sind schon unterwegs«, sagte Assauer, legte auf und winkte Hammer, der am Schreibtisch gegenüber saß, mitzukommen.
    »Der Chef?«, fragte der.
    Assauer nickte.
    »Dann wird’s scheppern.«
    Assauer nickte wieder.
    »Wird auch Zeit«, stellte Hammer fest.

    Hammer raste vorschriftswidrig mit Blaulicht und Martinshorn durch Passau. Assauer protestierte nicht. Er dachte daran zurück, wie Waldhauser von München nach Passau expediert worden war, als er sich anschickte, die Grundstücks-Machenschaften eines führenden Mitglieds der staatstragenden Partei mit einem berüchtigten Baulöwen – ebenfalls Parteimitglied – aufzudecken. Was die Partei erstens als Majestätsbeleidigung, zweitens als Gefahr für Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze und drittens als schädlich für ihr Spendenaufkommen klassifizierte. Letzteres gab den Ausschlag: Waldhauser hatte sich für die Provinz qualifiziert. Weil Sibirien nicht ging, wurde es Passau.
    Hammer und Assauer waren mit ihm gegangen. Hammer, weil ihn nach einer gescheiterten Ehe nichts mehr in München hielt, Assauer, weil ihn als Junggesellen auch nichts in München hielt, beide, weil sie Waldhauser, man konnte es so nennen, verehrten. Seine kriminalistische Brillanz, seine typisch münchnerische Mischung von Feinsinn und Grobheit, seine tiefe Humanität, die er sich trotz ständiger Konfrontation mit den düsteren Aspekten der menschlichen Spezies bewahrt hatte.
    Hammer und Assauer waren sich ihrer beider Anhänglichkeit an Waldhauser bewusst, ohne je ein Wort darüber verloren zu haben. Und ohne viele Worte hatten sie auch ihre Schreibtischschubladen leergeräumt, als Waldhauser sie fragte, ob sie nicht mit ihm nach Passau gehen wollten.
    Ein paar Tage darauf hatten sie München im Rückspiegel eines Leihwagens immer kleiner werden sehen und noch ein paar Tage später ging das ›Münchner Triumvirat‹ daran, sich in den Passauer Sumpf zu wühlen. Das war jetzt acht Jahre her.
    Hammer beendete Assauers Gedankengang mit einem beherzten Tritt auf die Bremse.

    Es waren nur gut fünf Minuten vergangen, bis sie Waldhausers Krankenzimmer betraten. Die ohnehin schmächtige Gestalt ihres Chefs wirkte verloren in dem riesigen Bett. Sein Gesicht im hochgestellten Kissen war eingefallen und blass. Drähte führten zu Maschinen, ein Apparat piepte monoton, über einen
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