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Acht Tage im August

Acht Tage im August

Titel: Acht Tage im August
Autoren: Michael Winter
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den Alkoholisierungsgrad ihrer Gäste nach Erdbeben-Magnituden, also abhängig vom Flurschaden, der nach dem jeweiligen Pegel zu befürchten stand.
    »Tendenz steigend«, fügte sie nach einem Seitenblick auf den Gast, den ihr Chef im Visier hatte, hinzu.
    »Bei acht kassierst du ab und schmeißt ihn raus!«, befahl ›Chanel‹. »Sonst kotzt er uns noch vor den Eingang. Und sag’ Dicky« – gemeint war das spindeldürre Faktotum der Bar –, »er soll ihn Richtung Innenstadt einnorden, sonst fällt er uns noch in die Donau mit Kurs Budapest und meine Konzession treibt hinterher.«
    Chanel hatte kaum ausgesprochen und sich wieder an einem Tisch zwischen zwei auffällig geschminkte blonde Nachtschwärmerinnen gequetscht, da sah er, wie der Mann sich mit beiden Händen auf den Tisch stützte, sich hochschob und auf verblüffend sicherem, schnurgeradem Kurs die Bar ansteuerte. Der Mann, ein Riese von Gestalt, wie Chanel erschrocken feststellte, schob die beiden Typen, die Jill von ihren Barhockern aus zutexteten, zur Seite und legte Geld auf den Tresen. Chanel beobachtete, wie Jill verwundert die Scheine nahm, dem Mann rausgab – nicht ohne ein beträchtliches Trinkgeld für sich abzuzweigen – und ihn mit professionellem Lächeln verabschiedete. Der Riese schien es nicht wahrzunehmen, fand trotz seines beträchtlichen Alkoholpegels durch die Leute hindurch zielsicher den Ausgang und verschwand nach draußen. Dicky, von Jill befehlsgemäß hinterhergejagt, kam wenige Minuten später zurück und machte mit den Fingern der Rechten ein Okay- Zeichen zu ›Chanel‹, der, eingerahmt von den zwei Blondinen, zu ihm hinsah. »War das nicht …?«, fragte die eine.
    »Ja«, antwortete ›Chanel‹, »er war’s. Bin gespannt, wie lang der so weitermacht.«

    Walter Friese tappte durch die verlassene Innenstadt Passaus. Der Alkohol hatte ihn in jenen watteweichen Zustand sinken lassen, in dem er vergessen konnte und in dem kein Schmerz war. An der Tankstelle in der Nikolastraße kaufte er eine Flasche Wodka, steckte sie in die Jacketttasche und zog weiter seinem Ziel entgegen, dem einzigen noch klaren Orientierungspunkt in seinem Verstand.
    Eine Gruppe Jugendlicher, von einer Disco zur anderen unterwegs, umringte grölend den schwankenden Riesen, als er Richtung Inn einschwenkte.
    »Wie ist die Luft da oben?«, rief einer.
    Reaktionsschnell trotz seines Alkoholpegels griff Friese sich den Burschen.
    »Riech … doch … selber!«, sagte er mit schwerer Zunge, hob den Kerl mit einer Hand hoch über seinen Kopf, schwenkte ihn hin und her und ließ ihn dann fallen. Verdutzt rappelte sich der Junge unter dem Gelächter seiner Kumpels auf und machte sich mit ihnen davon.
    Es schlug eben ein Uhr, als Friese nach Überquerung des Innstegs am Innstadt-Friedhof anlangte.
    »Ich bin hier, Anna«, rief er mit schwerer Zunge, »ich komme!«
    Das Friedhofstor fand er natürlich versperrt mitten in der Nacht. Nicht weit davon standen ein paar große Tonnen voller Gartenabfälle zum Abtransport. Friese tappte hin, schaffte es, auf eine hinaufzusteigen und wuchtete sich von dort über die Mauer. Auf der anderen Seite bremste glücklicherweise ein Gebüsch seinen plumpen Fall und er rappelte sich – bis auf ein paar Kratzer unverletzt – hoch. Anna! … Er musste zu ihr, es war doch ihr Geburtstag!
    An einer Weggabelung nahm er einen der für Friedhofsbesucher bereitgestellten Schubkarren mit. Nach und nach sammelte er von Gräbern, an denen er vorbeikam, rote Grablichter dahinein, bis er 17 beisammen hatte. Ohne Umwege fand er dann Annas Ruhestatt nahe der Innseite des Friedhofs an der Voglau. Dort angekommen, ordnete er die Kerzen rund um das frische Grab zu einem düster-roten Lichterkranz. Dann zog er die Wodka-Flasche, die er unterwegs gekauft hatte, aus der Jacketttasche und feierte den siebzehnten Geburtstag seiner Tochter.

    7 Vomitorium = Raum in römischen Villen, in den sich Römer angeblich bei Gelagen zum Übergeben zurückzogen, um anschließend weiter fressen und saufen zu können
    8 Adabeis = Auch-dabeis, Leute, die glauben, überall dabei sein und gesehen werden zu müssen, i.d.R. Politiker und C-Promis

Freitag
    Assauer nahm missmutig einen Schluck Kaffee aus dem Plastikbecher vom Automaten. Der gestrige Abend ging ihm durch den Kopf. Er war noch beim Einkaufen gewesen, weil eine Maus in seinem Kühlschrank schneller verhungert wäre als erfroren. Als er mit vollen Tüten die Treppe hochstieg, war er Katja im
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