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Acacia 01 - Macht und Verrat

Acacia 01 - Macht und Verrat

Titel: Acacia 01 - Macht und Verrat
Autoren: David Anthony Durham
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die richtige zu sein. Alles an ihm war ihr zu vertraut. Zu oft hatte sie seine Brust an sich gedrückt, war mit ihren Lippen über seine Haut gestreift und hatte seinem Herzschlag gelauscht. In gewisser Weise, das wusste sie, schlug ein Teil seines Herzens in ihrem Innern, klein, still, heranwachsend. Es gab keine Stelle an seinem Leib, in die sie die Klinge stoßen konnte. Stattdessen tat sie etwas anderes, etwas, von dem ihr nicht klar gewesen war, dass sie darüber nachdachte.
    Sie drückte die scharf geschliffene Schneide des Dolchs gegen ihre linke Hand. Sie durchtrennte das Fleisch mit Leichtigkeit bis auf den Knochen, ohne dass es wirklich wehtat. Sie zog die Klinge zurück, ballte die verletzte Hand zur Faust und hielt sie hoch. Rot sickerte zwischen den Fingerspitzen hervor und rang langsam über ihre Hand. »Weißt du was?«, flüsterte sie. Hanish sollte sie hören, doch sie hoffte, er würde den Kopf nicht heben, hoffte, dass die Worte seinen bewusstlosen Verstand erreichten, denn sie war sich nicht sicher, ob sie es ihm würde ins Gesicht sagen können. »Ich bekomme ein Kind von dir. Kannst du dir das vorstellen? Du hast die Zukunft Acacias gezeugt.« Sie beugte sich vor und drückte die Handfläche in das Becken. Ein verwischter Abdruck blieb zurück, den der Stein aufsaugte wie ein Schwamm. »Ich werde unseren Sohn zu einem Acacier erziehen. Ob du dich darüber freust oder es als Strafe betrachtest, liegt bei dir. Aber weder du noch deine Ahnen werden auf das Schicksal dieses Kindes Einfluss nehmen.«
    Als sie sich vom Altar abwandte und die Stufen hinunterschritt, war sie sich nicht sicher, ob sie Hanish ihren Namen rufen hörte. Vielleicht, doch die Luft war von zu vielen anderen Geräuschen erfüllt. Vielleicht hätte sie ja bestimmte Worte sprechen sollen, auf eine bestimmte Art und Weise? Vielleicht hätte sie in der Sprache aus Das Lied von Elenet sprechen sollen, dem geheimen Buch, mit dessen Studium sie schon bald beginnen würde. Bestimmt hatte sie es nicht ganz richtig gemacht. Doch sie hatte getan, worauf es ankam. Sie hatte aus freien Stücken ihr Blut geopfert, in Vergebung. In den ersten Momenten danach erfüllten tausend Schreie die Luft, die sie vielleicht gehört hatte und vielleicht auch nicht, ein Aufbegehren jener uralten Untoten, dass ihnen ihre zweite Chance zu leben verwehrt wurde. Doch es währte nicht lange. Sie spürte, wie das Leiden von Hanishs uralten Ahnen in den Särgen endlich ein Ende nahm. Sie wurden zu Staub, und ihr Geist ging wieder ein in die natürliche Ordnung der Welt. Sie hatten wieder Anteil am Mysterium, waren nicht mehr länger davon ausgeschlossen und stellten keine Bedrohung mehr für die Lebenden dar.
    Als sie in den Sonnenschein hinaustrat, blickte Rialus so gebannt nach Süden, dass er ihr Näherkommen nicht bemerkte. Sie schaute in die gleiche Richtung. Als sich ihre Augen an das Nachmittagslicht gewöhnt hatten, sah auch sie die brodelnden Wolken. Am Horizont braute sich eine Art Unwetter zusammen. Der Himmel erbebte unter der Macht des Sturms, ein Farbenmeer, durchzuckt von etwas, das gewaltige Blitze sein mussten, obwohl sie dergleichen noch nie gesehen hatte. Es mochte ein bedrohlicher Anblick sein, doch je länger sie hinschaute, desto stärker wurde ihr Eindruck, dass, was immer dort geschah, sehr weit entfernt war. Es würde sie nicht betreffen.
    Sie berührte Rialus an der Schulter. Er wandte sich ihr zu; sein Gesicht ließ erkennen, dass er unzählige Fragen hatte. Doch als er ihre blutende Hand bemerkte, sagte er nur: »Seid Ihr verletzt?«
    Corinn verneinte.
    »Ist es vollbracht, Prinzessin?«
    »Nein«, antwortete sie. »Wie könnte ich den Vater meines Kindes töten? Dann hätte ich mich ihm gemein gemacht. Ich hätte mich erniedrigt. Ich habe ihn bloß angesehen und gewusst, wenn ich ihm den Dolch in den Leib stieße, würde ich diesen Moment immer wieder durchleben müssen. Ich hätte mich nie mehr davon frei machen können. Ich hätte ihn im Gesicht meines Kindes wiedererkannt. Versteht Ihr? Er würde mich beherrschen, sogar im Tode. Deshalb konnte ich es nicht tun.« Sie wandte den Blick von den Augen des kleinen Mannes ab, denn die Vertraulichkeit, die sich darin abzuzeichnen begann, war ihr zuwider. Außerdem wunderte sie sich, wie leicht ihr das Eingeständnis gefallen war. Genug der Schwäche. Sie sagte: »Deshalb werdet Ihr es tun, Rialus. Hier, tötet ihn mit seinem eigenen Dolch. Das ist ein Geschenk an Euch.«
    Rialus nahm die
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