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Absturz

Absturz

Titel: Absturz
Autoren: Gstaettner
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Menschen. Gar nichts! Die notwendigen Revolten meines Lebens habe ich alle auf halbem Weg noch storniert. Nun setzt sich schon Moos auf den Revoltruinen an, und ein Geruch von Moder breitet sich aus: Als Nichtraucher riecht man den noch besser. Als Nichtraucher resigniert man besser. Ich bin eine große Enttäuschung für mich.
    Zenos Triest! Svevos Triest! Ach, ach, ach! Zweimal war ich nun schon nichtrauchend in Triest! Nichtrauchend rund um die istrische Halbinsel, nichtrauchend in Punta Sabbioni am Wasserweg vor Venedig, viermal nichtrauchend in Wien! Verschwendete Ausflüge: Wie ungewesen, wie unwahr! Wie schade um jede nichtrauchend verplemperte Minute in Triest!
    Immer wenn ich nun nach Wien kam, musste ich als Allererstes zum Kohlmarkt und dort entweder ins House of Gentlemen oder ins House of England gehen und mir eine Schildkappe, ein Poloshirt, ein Hemd oder einen Pullover von Burberry kaufen. Da ich vom Kleidungskauf aber im Grund keine Ahnung hatte, kaufte ich meine Burberry-Hemden leider immer entweder zu klein – sodass sie mir trotz geöffneten Kragenknopfs meinen überaus empfindlichen Hals zuschnürten – oder aber zu groß, sodass sie wie ein Nachthemd an mir herabhingen und ich darin trotz des exquisitesten Stoffes wie ein Clochard oder wie ein Clown oder so aussah, wie in Klamaukfilmen Insassen einer psychiatrischen Heilanstalt dargestellt werden. Tatsächlich anziehen konnte ich von den Dutzenden Burberry-Hemden, die ich bei mir zu Hause aufbewahrte, jedenfalls kein einziges, sodass meine krankhafte Leidenschaft für sündteure britische Herrenmode für die Außenwelt an meinem Körper wenn überhaupt, so nur ganz selten und fragmentarisch festzustellen war. Mein Burberry-Fetischismus an sich nahm dadurch aber keinen Schaden. Immer fuhr ich in der Hoffnung in die Hauptstadt, eines Tages wie durch ein Wunder ein Burberry-Hemd zu erwischen, das mir passt. Immer wieder stellte ich nach meiner Rückkehr aus Wien enttäuscht fest, dass mir das auch diesmal wieder nicht gelungen war.
    Die ersten Hemden habe ich noch auf gut Glück und das heißt: ohne Anprobe gekauft, weil ich nicht einen Augenblick länger als unbedingt nötig im House of Gentlemen bleiben wollte. Es kostete mich schon die größte Selbstüberwindung, das Geschäft zu betreten und mich den Blicken, ja Musterungen der pikierten Verkäufer auszusetzen. Ich bin in Wirklichkeit weder distinguiert noch begütert, weder weltmännisch noch modebewusst. Und ich bin schon gar kein Gentleman. Ich bin ein Suchtcharakter und ein Süchtiger. Die neue Droge war ein Karostreifenmuster und die Farbkombination von weinrot, schwarz und weiß auf beigem Grund: Wie jede Droge löst sie euphorische und ekstatische Zustände aus, führt zu einer krassen Verengung und Fixierung der Gehirntätigkeit und hat jedenfalls finanziell eine selbstzerstörerische Wirkung. Rauchen ist ein bisschen ungesünder, aber viel billiger, und wenn mir jemand erklärt, wie viel Geld ich mir durch das Nichtrauchen erspare, dann weiß er nicht, wie viel ein Burberry-Hemd kostet! Es war jedenfalls gänzlich unangebracht und unangemessen, dass die Verkäufer im  House of Gentlemen , nachdem sie mir so ein Hemd verkauft hatten, zum Abschied  Viel Freude!  wünschten: Das tut ja ein Dealer auch nicht.
    Später habe ich mir die Hemden vom Verkäufer zur Anprobe auspacken und meine Kragenweite mit einem Band abmessen lassen, aber die Hemden blieben, zu Hause angezogen, trotzdem würgend klein oder flatternd groß. Die Folge war nur die, dass der Verkäufer zum Vermessen meines Halses bis auf wenige Zentimeter an mein Gesicht herankam und mir sofort sein Mundgeruch in die Nase stieg. Ich konnte ja jetzt riechen. Trotzdem kaufte ich mir um tausend Euro einen Burberry-Dufflecoat. Ich gab das Geld damals leicht aus, weil ich nicht an später dachte und denken wollte: Dieses  Später  konnte für mich nichts mehr beinhalten, was mich interessierte.
    Ich war fertig mit mir, und ich würde fertig bleiben. Vortot. Bislang zehrte ich als Publizist von den kreativen Überschüssen der Vergangenheit, von den Skizzen, Notizen, Ideen und auch bereits ausgearbeiteten Petitessen in der Schublade, das heißt: in den Word-Dateien. Aber noch ein, zwei Jahre vielleicht, dann würde sich mein Martyrium, mein Geistesstillstand auch vor der Außenwelt nicht mehr verheimlichen lassen. Zeitversetzt um diese ein, zwei Jahre würden durch meine Schreibblockade nach und nach Publikationen sowohl in
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