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Absturz

Absturz

Titel: Absturz
Autoren: Gstaettner
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Büchern als auch in Zeitungen ausbleiben; infolgedessen würden Einladungen zu Lesungen und Vorträgen abnehmen und ausbleiben; Einkünfte würden ausbleiben, meine Ersparnisse weggeschmolzen sein, ich würde verarmen. Kaum jemand fällt tiefer als ein Künstler, der aufgehört hat, Künstler zu sein. Aber wenn ich unter der Brücke lande, dann trage ich beim Abkratzen doch immerhin einen Original-Burberry-Dufflecoat am Leib.
    Eine Zeitungsmeldung:  Eine Depression darf man auf gar keinen Fall auf die leichte Schulter nehmen.  (Depressive nehmen aber bekanntlich ohnehin nichts auf die leichte Schulter, nicht einmal ihre Depression. Depressive kennzeichnen sich geradezu durch ihre schwere Schulter.)  Außerdem, so haben Ärzte festgestellt, machen Depressionen gleich doppelt krank. Sie erhöhen deutlich das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall. Nach dem Suizid soll eine Herzerkrankung bereits die zweithäufigste Todesursache bei depressiven Patienten sein.
    Der nächste Herzinfarkt kommt bestimmt: entweder durch das Rauchen oder durch die Nichtrauchdepression. Ich habe die Wahl der Qual, aber aus der Wahlzelle komme ich nicht einmal als Untoter heraus.
    Am dreihundertdreiunddreißigsten Tag meines Martyriums habe ich das Tagebuchschreiben wieder aufgegeben. Meine letzte Eintragung lautete: Herr Doktor, meine gesammelten Herren Doktoren, ich möchte nicht als Nichtraucher sterben!
    Nothing left to lose
    Oder: In deine Hände lege ich meinen Geist (7. Wort)
    Als ich, Philipp Eggs, lange vorher, nämlich am elften Tag meines Martyiums mit meinem Stent in der Herzarterie, dem gigantischen medikamentösen Speisezettel, der Versicherung des Operateurs, unser Wohl und Wehe hänge letztlich trotz aller medizinischen und wissenschaftlichen Erkenntnisse  von dem da oben  ab und der Zusatzanweisung der Stationsärztin »zu Tode gefürchtet ist auch gestorben« schließlich in die Freiheit und in das sogenannte Leben entlassen und von Emma, die getrennt von mir nicht im Ambulanzjet, sondern in einem regulären Linienflugzeug in die Heimat zurückfliegen hatte müssen, in der Zweiten Medizinischen des Landeskrankenhauses abgeholt wurde, bestand ich darauf, mich selbst hinter das Lenkrad zu setzen und meine Autoradiototen Beethoven, Falco, Mozart (Requiem) und Janis Joplin zu spielen.
    Immerhin: Erstmals nach meiner Auferstehung drehte ich wieder den Schlüssel im Zündschloss! Zum ersten Mal nach einer Ewigkeit im Reich des Todes hielt ich wieder ein Lenkrad. Zum ersten Mal berührte ich mit der Sohle das Gaspedal und stimmte ein Motorengeräusch an! Als Erstes fuhr ich aber nicht nach Hause, sondern, mit einer kurzen Unterbrechung in der Konditorei, wo ich mir trotzköpfig drei Marzipankartoffeln einpacken ließ, stadtauswärts zum Friedhof und zum Grab des Vaters, zum Grab des mir ähnlichsten Menschen, zum Grab des Menschen, dem ich bei seiner Beerdigung kein Schäufelchen voll Erde, sondern eine letzte filterlose Zigarette in den Schacht auf den Sarg geworfen habe, zum Grab des Menschen, an den ich seither immer ganz automatisch denken muss, wenn ich irgendwo die Worte »Vater unser im Himmel« höre. Beinahe wäre genau hier gerade jetzt wieder ein Schacht ausgehoben worden, links oder rechts von dem des Vaters, diesmal keine vier Jahre später für mich. Beinahe wäre ich unauferstanden hier gerade bei meiner eigenen Beerdigung gewesen. So war nur einer gestorben, der nicht beerdigt werden kann. Es schien auch weder eine Sonne, die sich hätte verdunkeln können, noch war ein Tempel und darin ein Vorhang vorhanden, der mitten durch hätte reißen können. Es war bloß grau und kalt, ein wenig Märzschnee lag noch auf dem gefrorenen Grab. Die Verabschiedungshalle am Friedhof war gerade wegen Umbauarbeiten geschlossen, und in diesen Tagen zu sterben hätte etwas Behelfsmäßiges und Provisorisches gehabt.
    Schon von Weitem, von der Zufahrtsstraße aus, konnte ich aus dem Auto heraus neben einem bereits halb nackten Tannenstamm einen riesigen orangen Kranwagen der Stadtwerke mit einem nach oben offenen Käfig himmelhoch über das ummauerte Friedhofsgelände ragen sehen, in dem ein behelmter Holzfällbeamter seine Elektrosäge wie ein Gitarrist seine Elektrogitarre zupfte und würgte und aufheulen ließ: Spiel mir das Lied vom Weg alles Irdischen! Spiel mir das Lied von der Verwesung! Kein Zweifel, dort musste ich hin, das war mein Ziel! Aber tatsächlich war der Kranwagen genau neben Frau Oberluggauers Grab geparkt,
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