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Absolution - Roman

Absolution - Roman

Titel: Absolution - Roman
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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abgesehen von zwei Männern, die selbst nach dir suchten, sei jemals in Verbindung mit mir getreten, um sein Beileid auszudrücken oder mir für das Opfer zu danken, das du gebracht hattest. Während des obligatorischen Signierens kam der Mann zu mir und in der Art von überraschend vielen jungen Männern heutzutage war er so vom Gefühl überwältigt, dass er mir den Arm um die Schultern legte, ohne um Erlaubnis zu bitten. Zunächst war ich schockiert, fühlte mich dann aber so getröstet, wie ich es nicht erwartet hätte. »Sie sind so tapfer«, sagte der Mann, »so außerordentlich tapfer.«
    »Es ist schließlich nur ein Roman«, sagte ich zu ihm, drehte das Buch um und zeigte auf die Buchrückenaufschrift, direkt über dem Strichcode. Sprache schafft die Welt um uns herum und alles, was wir erleben. Wenn ich es einen Roman nenne, dann ist es ein Roman.
    Der Mann sah mich fragend an und sagte: »Aber das ist doch nicht erfunden? Das über Ihre Tochter, das ist nicht rein erfunden? Die ganze Familiengeschichte, das muss real sein«, sagte er, sehr entschlossen, dass ich zustimmen sollte. Er hatte natürlich recht.
    »Nein, das ist nicht erfunden. Das meiste davon nicht«, sagte ich, »aber manches ist es doch. Nach dem Buch selbst ist es reine Fiktion, selbst die Familiengeschichten und selbst meine tote Tochter.« Der Mann schüttelte den Kopf. Im Weggehen machte er den Eindruck, als würde er gleich anfangen zu weinen. Ich hatte ihm nicht gegeben, was er wollte. Ich hatte nichts zu geben außer dem, was ich gegeben habe. Es kann nicht entweder das eine oder das andere sein, schwarz oder weiß. Es ist beides und keins von beiden und etwas anderes, etwas dazwischen.
    Das Buch ist, unabhängig davon, als was es sich während seines Daseins in der Welt noch herausstellen mag, für mich eine wichtige persönliche Leistung gewesen, nicht geringer als dieses Tagebuch. Es ist zusammen mit dem Tagebuch mein Exorzismus gewesen, meine Dämonenaustreibung, und endlich habe ich das Gefühl, dass ich aufhören kann, darum zu trauern, dass ich all die Jahre lang versäumt habe, um meine unbegrabenen Toten anständig zu trauern. Ich trauere jetzt um dich, Laura, um deinen Verlust. Nicht nur um dich, sondern auch um meine Eltern und um Nora, um alles von euch vieren, was weiter in der Welt draußen existiert und sich an die Lebenden klammert.
    Ich begebe mich nach Johannesburg, um die Vorlesungsreihe über Literatur und Recht, in Zusammenarbeit mit dem Verfassungsgericht organisiert, zu unterstützen. Mark hat eine ganz erhebliche Rolle dabei gespielt und er ist großzügiger gewesen, als die meisten sich vorstellen konnten, indem er mir gestattet hat, seine Identität und seine eigene Geschichte auf die Weise zu nutzen, wie ich es getan habe. Ehe ich Sam wiedersehe, rufe ich deinen Vater an, um ihn zu fragen, ob er sich an Sams Eltern, Peter und Ilse, erinnert. O ja, er erinnert sich an sie, an alle drei, und will wissen, wie er zu Sam Kontakt aufnehmen kann. Ich bitte ihn zu warten, es nicht gleich zu tun, der Sache Zeit zu lassen, bis die Biografie fertig ist und in den Druck geht.
    Sams Buch wird Mark noch weniger gefallen als mein eigenes, fürchte ich, aber er kann es wohl kaum verhindern. Er wird sich hüten, mich zu verärgern. Während an dem Entwurf, den Sam mir gezeigt hat, nichts Verleumderisches ist, spricht er doch Dinge aus, von denen ich wünschte, sie wären im Verborgenen geblieben, obwohl ich, je mehr Zeit vergeht, weiß, dass eine Enthüllung lieber zu Lebzeiten kommen sollte, wenn man ungerechtfertigte Ansprüche abwehren kann. Sam erhebt keine solchen Ansprüche, aber wenn ich lese, was er aufdeckt, dann werden andere voreilige Schlüsse ziehen, die ich kontrollieren oder sogar zurückweisen möchte. Wenigstens hat er mir die Möglichkeit eingeräumt, meine Sicht darzulegen. Andere werden sagen, was sie wollen.
    Ich habe Sam im Verlauf jener Woche in Johannesburg mehrmals getroffen und aufgehört, ihn durch deine Worte zu sehen, Laura, wie er in deinem letzten Notizbuch erschien. Ich habe sogar aufgehört, ihn durch die Verzerrung meiner eigenen Erinnerung zu sehen: als Kind auf meiner Schwelle, jünger, als er damals wirklich war, ein Dahergelaufener ohne Stimme oder Energie, ohne Familie und Geschichte, der nichts zu geben hatte und alles zu nehmen drohte, eine bloße Hülle. Ich wusste, ich musste aufhören, ihn als Gefäß zu sehen, das du und ich mit unseren Worten und Ideen füllen wollten, mit
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