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Absolution - Roman

Absolution - Roman

Titel: Absolution - Roman
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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unserer eigenen Erzählung darüber, wer er war. Zuletzt fühlte ich, dass ich, nachdem ich ihm tatsächlich deine Notizbücher ausgeliefert habe, wie es nur recht erschien, ihn ohne jegliche Ablenkung zu sehen anfangen könnte, wie er wirklich ist – oder wenigstens, wie er wirklich mir gegenüber war. Ich erinnerte mich nämlich an die Binsenweisheit, dass jeder von uns unterschiedlichen Menschen unterschiedliche Seiten von sich zeigt. Ich sehe ihn nicht, wie er ist, wenn er allein mit seiner Frau oder wenn er mit seinen Studenten zusammen ist. Vielleicht verhält er sich mir gegenüber, wie er sich seinen älteren Kollegen gegenüber verhält. Oder vielleicht verhält er sich mir gegenüber, wie er sich sonst niemandem auf der Welt gegenüber verhält. Der Gedanke würde mir gefallen, dass unsere Beziehung für beide von uns einzigartig ist. In diesen wenigen Tagen habe ich ihn so zu behandeln versucht, wie ich idealerweise dich hätte behandeln sollen, Laura, oder deinen Bruder, es aber nie geschafft habe.
    Wir trafen uns immer an der Universität, fröstelten in der Wintersonne, schritten vor dem Hauptgebäude umher, sahen uns die Wandgemälde in der Cullen-Bibliothek an und lachten über sie, aßen Eis trotz der Kälte. Ich ließ mich zum Dinner bei ihm zu Hause einladen und genoss die Gesellschaft seiner reizenden Frau. Ich tat alles, was ich geschworen hatte, dass ich es nie tun würde. Er bot mir an, mich seinen neuen Kollegen vorzustellen, doch ich lehnte ab. Mich interessierten Geschäft und Bücher nicht mehr. Diese Tage erschienen eher wie eine ideale Version einer Zusammenführung von adoptiertem Kind und leiblicher Mutter, die sich nach jahrelanger Suche wiedergefunden hatten. Wir erkannten beide an, dass unsere Beziehung weniger tief und gleichzeitig komplexer war, als diese Metapher nahelegt. Wenn es eine biologische Verbindung gibt, dann durch die Erde unseres Landes: der Staub unter unseren Füßen, voller Leben, und der Dreck der Verwesung, der uns allen anhaftet.
    Mehr als alles andere überraschte mich, dass ich dich in Sam zu sehen anfing, in seiner Härte und Entschlossenheit und Wachsamkeit: das Raubtier, das weiß, was es heißt, verwundet zu sein, und im Bewusstsein jagt, dass es selbst gejagt werden kann. Seine Augen sind deine Augen, sein Geruch hat zum Teil dieselbe Zusammensetzung wie derjenige, der aus deinen Poren drang und noch immer aus den Poren deines Bruders dringt.
    Ich habe ihm gesagt, mir sei zumute, als hätte er mir all diese Jahre aufgelauert und mich schließlich gestellt, als mich die Kräfte verließen und die seinen gerade abzunehmen begannen. Er lachte und sagte, er habe das genauso empfunden. Ich glaube nicht, dass er gelogen hat.
    Er ist ohne Arglist. Und ich weiß, das ist eine Eigenschaft, welche die größten Lügner auszeichnet. Ich bin darauf vorbereitet, dass die Biografie, wenn sie schließlich erscheint, keine Ähnlichkeit mit den Entwürfen hat, die er mir zeigt. Ich hoffe, dass es nicht so sein wird, aber sosehr ich ihn – fast gegen meinen Willen – lieben gelernt habe und ihm inzwischen alles glaube, was er mir erzählt, sodass ich ihn nah bei mir halten und ihn an den Platz setzen will, wo du einst gestanden hast, traue ich ihm doch nicht und werde es nie tun.

DANKSAGUNG UND
BIBLIOGRAFISCHE HINWEISE
    Clare Walds Ausführungen über Zensur sind geprägt von J. M. Coetzees Giving Offense: Essays on Censorship (einige Essays dieses Sammelbandes sind in der Übersetzung von Reinhild Böhnke in Was ist ein Klassiker? enthalten) und Danilo Kiš’ »Censorship/Self-Censorship« in der Sammlung Homo Poeticus: Gespräche und Essays, übersetzt von Ilma Rakusa und Barbara Antkowiak; zitiert wird aus John Miltons Areopagitica in der Übersetzung von Klaus Udo Szudra. Ich habe profitiert von Peter D. McDonald und seinem Buch The Literature Police: Apartheid Censorship and Its Cultural Consequences bei der Klärung bestimmter Einzelheiten des südafrikanischen Zensurregimes. Die folgenden Bücher waren ebenfalls hilfreich: Gerald Shaw, The Cape Times: An Informal History ; Keyan Tomaselli, Ruth Tomaselli und Johan Muller (Hg.), South Africa’s Resistance Press: Alternative Voices in the Last Generation Under Apartheid ; Gerald B. Sperling und James E. McKenzie (Hg.), Getting the Real Story: Censorship and Propaganda in South Africa ; Gordon S. Jackson, Breaking Story: The South African Press .
    Das Zitat aus Dostojewskis Aufzeichnungen aus dem Kellerloch
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