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Absolution - Roman

Absolution - Roman

Titel: Absolution - Roman
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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wieder vorwärts. Mit jedem Mal gibt es weniger Widerstand. Der Geruch von Laura kehrt zu mir zurück, ein Geruch wie mein eigener. In diesem Moment mit Clare stelle ich fest, dass ich endlich die Wahrheit über jene Nacht weiß. Wir haben es gemeinsam getan, Laura und ich.
    Auf der anderen Straßenseite marschieren Kinder in der Winterschuluniform vorüber und Lehrer an beiden Enden achten darauf, dass sie in Reih und Glied bleiben. Ein Junge schert aus, um sich ein Plakat an einer Hauswand anzusehen, und mit einem einzigen Wort ruft ihn einer der Lehrer zurück in die Reihe. Dass es so einfach sein könnte zu wissen, wo man hingehen, wie man laufen sollte, ermahnt zu werden, wenn man ausschert, wenn man sich geirrt hat, und gesagt zu bekommen, wie man sich korrigieren kann. Ich sehe, dass es den Jungen Überwindung kostet zu gehorchen. Er möchte zum Plakat zurücklaufen, er möchte über die Straße zu einem Laden, er möchte nicht dahin, wo alle seine Klassenkameraden hingehen. Auch Clare beobachtet ihn.
    »Ein Ziegenbock unter Schafen«, sagt sie, mit dem Kopf auf den Jungen deutend. »Einer, der auffallen wird, im guten oder im schlechten Sinn.«
    Worte beginnen sich in meinem Mund zu stauen. Ich bearbeite und ordne sie neu. »Weil Sie mir so viel anvertraut haben, möchte ich Ihnen auch etwas anvertrauen«, sage ich und weiß, dass die Geschichte, die ich gleich erzählen werde, nicht mehr die Wahrheit ist.
    »Ein Geheimnis?«
    »Angenommen, Laura ist tot, dann ist es ein Geheimnis, das keiner sonst kennt, nicht einmal meine Frau. Ich habe noch immer nicht den Mut gefunden, es ihr zu erzählen. Es ist ein Geheimnis, das verändern sollte, wie Sie über Ihre Tochter denken. Es scheint richtig, dass Sie die einzige Person sein sollen, die es kennt. Indem ich Ihnen das erzähle, lege ich alles in Ihre Hände – meine Freiheit und mein Leben.« Ich erzähle die Geschichte Clare, nicht mir zuliebe und für Lauras Angedenken.
    Clare nickt, als die Kinder um die Ecke marschieren. Ich füge die Version zusammen, die ich ihr mitteilen will, das Gefühl, es zu tun, mein Fuß auf dem Gaspedal und meine Hand am Lenkrad und am Schalthebel. Es läuft in einer Schleife wie ein Film, der in mir lebt und in dem ich lebe.
    »Laura war geheimnisvoll, eine Kämpferin und eine Naturgewalt, aber sie war keine Mörderin, keine kaltblütige Killerin, nicht wie Sie sich das in Ihrem Tagebuch vorgestellt haben. Sie hat meinen Onkel nicht getötet.«
    Während sich Clares Gesicht aufhellt und sie sich zu mir umdreht, um mich aufmerksamer zu betrachten, weiß ich, dass ich das Rechte gesagt habe.
    »Willst du mir sagen, dass du bist, was ich glaube?«
    »Ja. Aber mit dem Laster hatten Sie recht.« Die Worte kommen krächzend, mir versagt die Stimme.
    »Das hat sie in ihrem Notizbuch geschrieben, dass sie ihn mit dem Laster überfahren hat. Aber irgendwie konnte ich letztlich nicht glauben, dass sie so indirekt sein würde. Ein Laster ist plausibler, wenn ein Kind am Lenkrad ist.«
    »Was macht das aus mir?«
    »Es macht aus dir kaum etwas anderes, als ich es bin, doch als Kind – zumindest als weißes Kind in jener Zeit – wärst du mit großer Wahrscheinlichkeit nicht zur Verantwortung gezogen worden. Was ich mit der Gefährdung meiner Schwester und meines Schwagers getan habe, war auf gewisse Weise schlimmer, weil es leichtfertig und egoistisch war. Es ist ein Verbrechen, das mich in einem sehr realen Sinn heimgesucht hat. Das Schreiben dieses letzten Buchs war mein Versuch des Selbst-Exorzismus, eine Vertreibung meiner Dämonen und meines Gefühls, an ihrem Tod mitschuldig zu sein, und ebenso meines Gefühls, versagt zu haben, weil ich meiner Tochter keine bessere Mutter gewesen bin – und nicht nur meiner Tochter, sondern auch meinem Sohn.«
    »Das ist noch nicht alles«, sage ich und ringe darum, ihr den Rest zu erzählen, von den Leichen im Laster, von dem Grab und Bernards Bestattung, wie ich mich daran erinnere. Ich erzähle ihr, dass ich einmal versucht habe, den Ort in den Bergen über Beaufort West wiederzufinden, und dass ich nun nicht weiß, ob ich meiner Erinnerung glauben soll. Clare hört zu, sieht mich an, auch wenn ich es nicht ertragen kann, sie anzusehen.
    »Die Geschichtsschreibung legt nahe, dass du dich irrst«, sagt Clare in kühlem, analytischem Ton. »Soweit ich weiß, wurden keine Massengräber entdeckt. Dazu gibt es zweierlei zu sagen. Erstens, dass die Geschichtsschreibung nicht immer recht hat, weil sie
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