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Absolution - Roman

Absolution - Roman

Titel: Absolution - Roman
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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nicht alle Geschichten erzählen kann, die geschehen sind, nicht alles erklären kann, was gewesen ist. Könnte sie es, dann wären Historiker arbeitslos, weil in Bezug auf die Vergangenheit nichts zu tun wäre, als zu interpretieren, was bekannt ist. Zweitens, dass das Zeugnis des Gedächtnisses, selbst eines mangelhaften Gedächtnisses, seine eigene Wahrheit besitzt. Vielleicht ist es nicht die buchstäbliche Wahrheit, woran du dich erinnerst, aber die Wahrheit des Gedächtnisses ist auf ihre Weise nicht weniger akkurat. Unser ganzes Land ist ein Massengrab gewesen, ob nun die Leichen an einem Ort liegen oder an vielen, ob die Menschen an einem Tag umgebracht wurden oder im Verlauf von Jahrzehnten. Noch etwas anderes ist zu bedenken. Es ist möglich, dass man aus Eitelkeit – bewusst oder unbewusst – Verbrechen ganz sich selbst zuschreibt, an denen man nur partiell beteiligt war. Weiß ich denn mit Bestimmtheit, dass die Menschen, mit denen ich gesprochen habe, meine Information über meine Schwester und meinen Schwager an die Person oder Personen weitergegeben haben, die für ihre Ermordung verantwortlich waren? Nein. Es gibt nur eine zeitliche Verbindung. Ich redete leichtfertig und die Folge davon, so schien mir, war ihr Tod. Doch ich habe keinen zweifelsfreien Beweis für meine Verstrickung, abgesehen von meinem Gefühl , verstrickt zu sein. Deshalb sind zuverlässige Autobiografien … etwas Unmögliches , wie Dostojewski Heine zitierend sagt, weil es in der Natur der Menschen liegt, über sich selbst zu lügen. Du wirkst verwirrt, Samuel. Ich will nicht andeuten, dass das, was du mir erzählt hast, eine Lüge ist. Aber wenn du dich daran erinnerst, dass du in einem sehr realen Sinn deine eigene Emanzipation herbeigeführt hast, dann ist das eine Form von Eitelkeit. Nehmen wir an, dass du Bernard tatsächlich getötet hast, dass du auch beteiligt warst am Transport der Leichen von Menschen, die bei Gräueltaten während der Apartheid getötet wurden. Ohne den Wunsch, die Tötung deines Onkels zu entschuldigen, kann man das doch als Folge sowohl der historischen Verhältnisse als auch deiner eigenen, ganz persönlichen traumatischen Erfahrungen erklären. Im gleichen Abschnitt sagt Dostojewski, dass jeder Mensch sich an Dinge erinnert, die er nur Freunden anvertrauen würde, und an andere Dinge, die er nur sich selbst gestehen würde, unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Schließlich gibt es auch solche Dinge, die der Mensch sogar sich selbst zu gestehen fürchtet. Die Frage, die du dir wohl nicht gestellt hast, ist, warum du Bernard so sehr hasstest, dass deine Wut nicht anders konnte, als sich in Handlung umzusetzen – oder, anders gesehen, dass du nicht anders konntest, als dich zu verteidigen. In deiner Erzählung gibt es Lücken. Vielleicht hast du mir nicht die ganze Geschichte erzählt. Du musst dich fragen, was Bernard selbst getan haben muss, um dich handeln zu lassen, wie du es tatst.«
    »Manche würden das moralischen Relativismus nennen.«
    »In der Tat. Hättest du Bernard töten sollen?«, fragt sie nüchtern, als wägte sie Möglichkeiten. »Nein. Objektiv gesehen hättest du es nicht tun sollen, weil diese Art zu töten eine böse Tat ist. Aber wenn du überleben wolltest, hattest du da eine andere Wahl, als zu handeln, wie du es getan hast? Wieder vermute ich, dass die Antwort Nein ist. Du hast aus Selbstschutz getötet. Und wenn wir die strikten Moralisten besänftigen wollen, könnten wir sagen, du hast, jung, wie du warst, die Folgen deiner Handlungen nicht bedacht.«
    Ich öffne den Mund, um zu widersprechen, doch sie hebt eine Hand, um mich zum Schweigen zu bringen.
    »Eigentlich ist das nicht wichtig. Wichtig ist, glaube ich, dass es immer noch Dinge gibt, die du verbirgst und die vor dir verborgen sind. Dieses Empfinden hatte ich seit dem Moment, als du vergangenen August zur Tür hereinkamst. Ich dachte, hier ist ein junger Mann, der sich selbst noch nicht kennt. Ich sehe dich jetzt an und ich weiß, es gibt Dinge, die du mir noch nicht mitteilst, die du mir vielleicht nie mitteilen wirst.«
    Montag. Während ich mich wieder mit Clare treffe, schreibt Sarah ihre Story über das Festival zu Ende. Am Sonntagnachmittag hat sich der australische Autor mit einer Gruppe Studenten betrunken und einem ehemaligen Fan, der ihn beschuldigt hatte, sich selbst untreu zu werden, einen Faustschlag versetzt.
    Die jüngere Vergangenheit zurückstellend, schildert Clare die Details ihrer Zeit als
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