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Absender unbekannt

Absender unbekannt

Titel: Absender unbekannt
Autoren: Dennis Lehane
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Dunkelheit auf mich zu. Ich hob den Kopf, in den Ohren das Geheul von Gerry, um dessen Hals das Feuer züngelte.
Auf Wiedersehen, dachte ich. Ihr alle. War schön.
Die ersten beiden Schüsse von Oscar traten in Gerrys Hinterkopf ein und aus der Stirn aus, der dritte blieb im Rücken stecken. Die Schrotflinte in Gerrys brennendem Arm wurde nach oben gerissen, dann kamen mehrere Schüsse von vorne, und Gerry drehte sich wie eine Marionette und fiel zu Boden. Im Fallen ging die Flinte zweimal los und schlug Löcher in das Eis vor ihm.
Er landete auf den Knien, und einen Moment lang fragte ich mich, ob er wirklich tot war. Das rostrote Haar stand in Flammen, der Kopf fiel nach links, während ein Auge von den Flammen erfasst wurde. Das andere blickte mich durch die Hitzewellen noch immer an, die Pupille schien amüsiert zu lachen.
Patrick, sagte das Auge im wabernden Qualm, du weißt noch immer nichts.
Oscar erhob sich hinter Gerrys Körper, Campbell Rawson an seine breite Brust gedrückt, die sich vor Anstrengung schnell hob und senkte. Dieser Anblick – etwas so
Kleines, Weiches in den Armen eines so riesigen Klotzes brachte mich zum Lachen.
Oscar kam auf mich zu, ging um Gerrys brennenden Körper herum, und ich fühlte die Hitzewelllen auf mich zukommen, als der Kreis aus Benzin um Gerry Feuer fing.
Verbrenne, dachte ich. Verbrenne. Gott helfe mir.
Oscar hatte den Kreis noch gerade rechtzeitig verlassen, jetzt brannte alles lichterloh, und ich musste über seinen Anblick noch lauter lachen, doch er war nicht im geringsten beeindruckt. Ich fühlte einen kalten Kuss auf meinem Ohr, doch als ich mich umdrehte, war Danielle schon an mir vorbei und stürzte auf ihr Kind in Oscars Armen zu.
Sein riesiger Schatten ragte über mir, ich sah zu ihm auf, und er hielt dem Blick lange stand.
Dann fragte er mit einem breiten Lächeln: „Wie geht’s dir, Patrick?“ Und hinter ihm verbrannte Gerry auf dem Eis.
Aus irgendeinem Grund war alles so verdammt witzig, obwohl ich wusste, dass es nicht so war. Das wusste ich. Wirklich. Aber ich lachte noch immer, als sie mich in den Krankenwagen schoben.

Epilog
    Einen Monat nach Gerry Glynns Tod wurde sein Beutelager in der ehemaligen Cafeteria der seit langem geschlossenen Strafvollzugsanstalt Dedham entdeckt. Abgesehen von vielen Körperteilen seiner Opfer, die er in einem halben Dutzend Kühltruhen aufbewahrte, fand die Polizei auch eine von Gerry erstellte Liste aller Menschen, die er seit 1965 umgebracht hatte. Mit siebenundzwanzig ermordete Gerry seine Frau, bei seinem Tod war er achtundfünfzig Jahre alt. In den dazwischenliegenden einunddreißig Jahren tötete er entweder alleine oder mit der Hilfe von Charles Rugglestone, Alec Hardiman und Evandro Arujo vierunddreißig Menschen.
Ein Polizeipsychologe vermutete allerdings, die tatsächliche Zahl könne noch höher liegen. Jemand mit Gerrys Ego, argumentierte er, würde ohne weiteres zwischen „minderwertigen“ und „hochwertigen“ Opfern unterscheiden.
Unter den vierunddreißig Opfern befanden sich sechzehn vermisste Jugendliche, einer in Lubbock, Texas, und ein Mädchen aus dem nicht eingemeindeten County Dade in Florida, genau wie Bolton vermutet hatte.
Dreieinhalb Wochen nach Gerrys Tod veröffentlichte Cox Publishers ein Buch mit dem reißerischen Titel Die
Hacker von Boston, geschrieben von einem Reporter der News. Zwei Tage lang verkaufte es sich gut, dann wurde das Lager in Dedham entdeckt, und die Menschen verloren das Interesse an dem Krimi, denn das Buch konnte nicht mit der Realität Schritt halten.
Eine interne Untersuchung der Polizei ergab, dass die Beamten und Agenten bei Gerry Glynns Tod „notwendige extreme Gewalt“ eingesetzt hätten, als Scharfschützen ihm vierzehn Kugeln in den Körper jagten, nachdem Oscar ihn mit den ersten drei Schüssen bereits getötet hatte.
Bei seiner Rückkehr aus Mexiko wurde Stanley Timpson auf dem Logan Airport verhaftet. Es wurde Anklage gegen ihn erhoben wegen Teilnahme an einer Mordverschwörung und wegen Behinderung einer bundesstaatlichen Ermittlung.
Nach erneuter Durchsicht des Falles Rugglestone entschied der Staat, die Strafverfolgung von Timpson den Bundesbehörden zu überlassen, da die einzigen Zeugen für den Mord an Rugglestone eine geisteskranke Insassin einer Irrenanstalt, eine mental zerrüttete Alkoholikerin und ein Aidskranker waren, der den Prozess nicht mehr erleben würde. Außerdem gab es keine Beweisstücke mehr. Als letztes hörte ich, Timpson plane
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