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Absender unbekannt

Absender unbekannt

Titel: Absender unbekannt
Autoren: Dennis Lehane
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ich sie umgebracht hatte, fühlte ich mich schrecklich. Ich musste mich übergeben. Zwei Wochen lang brach mir immer wieder der kalte Schweiß aus. Und dann, eines Abends, fuhr ich auf einer alten Strasse in der Nähe von Mansfield, meilenweit kein anderes Auto in Sicht. Ich fuhr an so einem Typ auf dem Fahrrad vorbei und spürte plötzlich einen Drang – den stärksten Drang in meinem Leben. Ich fahre rechts an ihm vorbei, sehe sogar die Reflektoren am Fahrrad, sein ernstes, konzentriertes Gesicht, und eine Stimme sagt zu mir: >Stoss an den Reifen, Gerry! Stoss an den Reifen!< Das habe ich getan. Ich musste die Hand nur ein paar Zentimeter nach links strecken, und schon flog er gegen den nächsten Baum. Dann ging ich zu ihm zurück, er war schon fast tot, und beobachtete ihn beim Sterben. Ich fühlte mich klasse. Und es
wurde immer besser. Dieser kleine Nigger, der wusste, dass ich jemand anders für den Tod meiner Frau verantwortlich gemacht hatte, und all die anderen nach ihm, Cal Morrison zum Beispiel. Es wurde einfach immer besser. Ich bedaure gar nichts. Tut mir leid, ist aber so. Wenn du mich also umbringst…“
„Ich bringe dich nicht um, Gerry!“
„Was?“
„Du hast mich verstanden. Soll dich doch jemand anders ins Jenseits befördern. Du bist ein Fliegenschiss, Mann! Ein Nichts. Du bist die Kugel nicht wert und den Fleck auf meiner Seele auch nicht!“ „Willst du mich wieder ärgern, Patrick?“ Er nahm Campbell von der Schulter und hielt ihn wieder hoch.
Ich krümmte das Handgelenk, und der Zylinder fiel mir in die Hand. Ich zuckte die Achseln. „Du bist eine Witzfigur, Gerry. Ich sage einfach, wie ich es sehe.“
„Ach, ja?“
„Sicher.“ Ich blickte in seine harten Augen. „Nach dir kommt ein anderer, so ist das immer, vielleicht schon in einer Woche, ach, höchstens in einer Woche! Dann kommt irgendein anderer beschränkter, kranker Typ an, bringt ein paar Leute um und steht in allen Zeitungen. Dann bist du schon Schnee von gestern. Deine fünfzehn Minuten sind um, Gerry! Und du hast keinen großen Eindruck hinterlassen!“
Er drehte Campbell Rawson in seiner Hand, hielt ihn wieder an den Füssen nach unten. Mit dem Finger drückte er den Abzug des Gewehrs einige Millimeter nach unten, und Danielle schloss ein Auge in Erwartung des Schusses, das andere Auge hielt sie auf ihr Baby gerichtet.
„Das vergessen sie nicht!“ prahlte Gerry. „Das kannst du mir glauben!“
Er holte mit dem Arm Schwung wie ein Werfer beim
Baseball. Campbell schnellte in die Dunkelheit hinter ihm, sein kleiner weißer Körper verschwand, als sei er in den Mutterleib zurückgekehrt.
Doch als Gerry den Arm wieder nach vorne schwang, um das Baby in die Luft zu schleudern, hielt er Campbell nicht mehr in der Hand. Verwirrt blickte er nach unten, und ich sprang vor, fiel mit den Knien aufs Eis und schob den linken Zeigefinger zwischen Abzug und Bügel des Gewehrs.
Gerry drückte auf den Abzug. Er traf auf den Widerstand meines Fingers, sah mich an und drückte dann so fest zu, dass mein Finger brach.
In seiner linken Hand blitzte die Rasierklinge, und ich schob ihm den One-Shot in die rechte Hand.
Er schrie schon auf, bevor ich abgedrückt hatte. Es war ein extrem hohes Geräusch, das Gejaule einer ganzen Horde von Hyänen. Die Rasierklinge, die in meinen Hals sank, fühlte sich an wie die Zungenspitze einer Geliebten. Sie blieb an meinen Kieferknochen hängen.
Ich drückte auf den Abzug des One-Shot, doch nichts passierte. Gerry schrie noch lauter, zog die Rasierklinge kurz aus meinem Fleisch, nur um sie sofort wieder hineinzudrücken. Ich kniff die Augen zusammen und drückte dreimal wie wahnsinnig auf den Abzug. Gerrys Hand explodierte.
Meine auch.
Die Rasierklinge fiel neben meinem Knie auf den Boden, ich ließ den One-Shot fallen, und das Feuer kletterte das Isolierband hoch, erfasste das Benzin auf Gerrys Arm und fing sich in Danielles Haar. Gerry warf den Kopf in den Nacken, riss den Mund auf und brüllte in Ekstase.
Ich griff nach der Klinge und konnte sie kaum spüren, offensichtlich funktionierten die Nerven in meiner Hand nicht mehr richtig. Mit der Klinge durchschnitt ich das Isolierband am Ende des Gewehrlaufs, und Danielle fiel auf den Boden und wälzte den brennenden Kopf im vereisten Sand.
Ich zog den gebrochenen Finger aus dem Gewehr. Gerry holte aus, um mir mit dem Lauf auf den Kopf zu schlagen.
Die beiden Mündungen der zweiläufigen Flinte kamen wie ein gnadenloses, seelenloses Augenpaar durch die
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