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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua
Autoren: Stewart O'Nan
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POUCH. GÖNNEN SIE SICH DAS BESTE. Ein Rastplatz war abgesperrt, mitten auf dem leeren Parkplatz stand unerklärlicherweise ein aufgemotzter Lieferwagen, die Heckfenster facettiert wie bei einem Diamanten. Die immergleichen Wolken zogen sich bis zum Horizont, wie eine Flotte, die dampfend aus dem Hafen auslief. Der Wald wurde von Weideland abgelöst, von geduckten roten Scheunen und mit Kletten und Mohrrüben zugewucherten Feldern. Kurz vor Mercer gerieten sie in ein Gewitter mit so starkem Regen, dass Arlene auf die Bremse trat und Emily sich auf einen Zusammenstoß gefasst machte. Zwei Kilometer weiter war es sonnig, und von den Hügeln erhob sich ein Regenbogen.
      «Wünsch dir was», sagte Emily, schuf Platz in ihren Gedanken und dachte besonnen, als würde sie zu Gott sprechen: Ich wünsche mir, dass sie es alle verstehen werden.
      Sie verließen die 79, fuhren in östlicher Richtung am Lake Erie entlang, und Arlene reihte sich vorsichtig auf die vierspurige Interstate 90 ein. Auf dem Rücksitz schnappte Rufus nach Luft, schnaufte und schluckte kräftig, und um Arlene zu beschwichtigen, drehte sich Emily auf dem Sitz um und redete ihm gut zu.
      «Alles in Ordnung», sagte sie, doch sie schien Rufus nicht überzeugt zu haben. Benommen und verwirrt hob er den Kopf.
      «Nein!», befahl Emily. « Platz!»
      Er gehorchte, doch seine Schnauze wurde von einem Schluckauf geschüttelt.
      «Soll ich anhalten?», fragte Arlene.
      «Schon in Ordnung. Es ist nicht mehr weit.»
      «Es dauert noch eine Stunde.»
      «Vierzig Minuten », verbesserte Emily. «Fahr einfach. Er wird sich schon nicht auf deine kostbaren Sitze erbrechen, und wenn doch, dann mach ich sie wieder sauber.»
      «Ich wollte bloß helfen», sagte Arlene.
      «Tut mir Leid. Ich weiß, dass du ihn nicht leiden kannst.»
      «Ich mag ihn, ich will nur nicht, dass er in mein Auto kotzt.»
      «Tja, so was machen Hunde nun mal, das kann ich nicht ändern.» Emily seufzte über den kleinlichen Streit und den ärgerlichen Umstand, dass sie im Unrecht war. «Hör mal, ich weiß zu schätzen, dass du fährst, und es tut mir Leid, dass er nicht der beste Mitfahrer ist. Ich will nicht unhöflich sein, ich will bloß, dass wir ankommen.»
      «Ich hab wirklich nichts gegen ihn», sagte Arlene, als hätte sie Emilys Entschuldigung angenommen.
      Das Schild, das sie im Staat New York begrüßte, war voll gelber Paintball-Kleckse, die Tafel mit dem Namen des neuen Gouverneurs ein dunkleres Grün. Wenn Kenneth und Margaret die Grenze überquerten, hatten sie immer die Füße vom Boden gehoben und die Hände in die Luft gehalten, das hatten sie im Bus zum Sommerlager der Kirche gelernt. Emily überlegte, ob sie das jetzt tun sollte, wusste aber, dass Arlene völlig verdutzt sein würde.
      Sie konnte Henry geradezu sagen hören, sie solle sich abregen, konnte geradezu sehen, wie er sie von der Seite ansah, um ihr zu bedeuten, dass sie gegenüber Arlene - oder noch öfter gegenüber Margaret, deren ganze Persönlichkeit anscheinend darauf ausgerichtet war, Emily auf die Palme zu bringen - nicht so streng sein solle. Sie war immer noch nicht darüber hinweg, wie Margaret Jeff behandelt hatte. Jeff anscheinend auch nicht, denn er hatte Margaret verlassen. Dass es wahrscheinlich ihr einziger gemeinsamer Wesenszug gewesen war, der Jeff schließlich vertrieben hatte, fand Emily passend. Für Margaret war es der eindeutige Beweis, dass ihre Mutter mal wieder ihr Leben zerstört hatte. Offiziell lebten die beiden erst ein knappes Jahr getrennt, doch Margarets seltene Anrufe und Kenneths Äußerungen deuteten darauf hin, dass die Scheidung wahrscheinlicher war als eine Versöhnung.
      Würde Emilys Mutter jetzt nicht denken, dass sie sie immer zu Recht aufgefordert hatte, sich zu beruhigen und den Mund zu halten? «Warum kannst du denn nicht nett sein?», hatte ihre Mutter einmal gefragt und sie fest am Unterarm gepackt, aber was hätte Emily da schon antworten sollen? Emily sah bei ihrer Tochter dieselbe hilflose Wut, und auch sie konnte sie nicht retten. Und wer würde Emily retten, wenn sich alles aufstaute?
      Henry hatte es getan, sein sanftes Herz der perfekte Balsam für ihres. Jetzt, wo er tot war, hatte sie Angst, griesgrämig zu werden und ihre Wut an Freunden und Verwandten auszulassen. Manchmal kam es ihr vor, als würde genau das passieren. Es war schwer zu sagen. Es war, als würde sie nochmal in die Wechseljahre kommen,
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