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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua
Autoren: Stewart O'Nan
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diese verrückten Stimmungsschwankungen -oder als wäre sie schwanger. Die Hälfte der Zeit hatte sie keine Ahnung, warum sie sich so und nicht anders fühlte, und konnte nur Henrys Tod als Entschuldigung anführen.
      «Da», sagte Arlene, als sie sich einem Schild näherten. «Noch dreißig Kilometer.»
      Die Route 17 war hier so neu, dass die Brücken sich noch im Bau befanden. Orange-weiß gestreifte Pylone leiteten die beiden Fahrspuren in eine von Betonmauern begrenzte Rinne.
      Arlene beugte sich dichter übers Lenkrad, und Emily setzte sich aufrecht hin, als wollte sie sie unterstützen. Arbeiter waren nirgends zu sehen, doch hinter einem staubigen Tankfahrzeug stand ein Streifenwagen der Staatspolizei.
      Arlene fuhr so langsam, dass ihnen der Polizist egal sein konnte, aber Emily wurde ganz starr, als hätte man sie bei irgendetwas ertappt, und zuckte unwillkürlich zusammen. Henry war immer schnell gefahren, hatte fest auf den Olds V-8 vertraut.
      «Ganz schön gerissen», sagte Emily.
      «Und an einer Baustelle ist das Bußgeld doppelt so hoch.»
      «Selbst wenn niemand arbeitet. Was für ein Wucher.»
      Die Abfahrt nach Panama kam und dann, auf einem brachliegenden Feld, eine Reklametafel für Panama Rocks, wo sie mit Kenneth und Margaret gewesen waren, als die beiden noch klein waren. Margaret war damals pummelig gewesen und hatte sich geweigert, Fat Man's Misery auszuprobieren; sie hatte davor gestanden, während sich die Übrigen durchzwängten, die von Flechten überzogenen Wände kalt an ihren Bäuchen. Sie hatte immer irgendwie abseits gestanden, und es war Emily nicht gelungen, sie einzubeziehen.
      Rufus lag wieder zusammengekauert da, über seiner Nase ein getrockneter Sabberfaden. «Wir sind gleich da», beteuerte Emily.
      Sie nahmen die Abfahrt zum Institut, folgten einer holprigen Asphaltstraße, vorbei an windschiefen Neoklassizismusbauten mit Waschmaschinen auf den Veranden und an gemeinsam grasenden Pferden und Kühen. Der Asphalt war stellenweise zerbröckelt, Splitt prallte klirrend gegen den Boden des Wagens, im Straßengraben wuchsen Wildblumen. Das erinnerte sie an Kersey, an die bergigen Abkürzungen durch den Staatswald mit den vielen Bodensenken und Haarnadelkurven. Die alten Gehöfte waren genauso, die Zuckerbäckergotik auf den Hügeln, vor dem Wind geschützt durch einen Ring aus Eichen und Weiden, Briefkästen, die aus getünchten Milchkannen hervorragten, Teiche mit kurzen Stegen, von denen die Kinder ins Wasser springen konnten, Enten, die sich auf einem umgedrehten Ruderboot sonnten. Sie könnte hier leben, könnte das Haus in der Stadt aufgeben und beobachten, wie sich der Nebel bei Einbruch der Dunkelheit über die Bäume breitete, wie die Kühe muhend nach Hause kamen.
      Hinter einer leichten Steigung tauchte noch eine Reklametafel auf: LEER GEFAHREN? TANKEN SIE AUF BEI JESUS.
      Na, das wäre schön, dachte sie.
      «Der Mais ist hoch», sagte Arlene.
      «Die Gegend liegt so weit nördlich, dass sich der See darauf auswirkt.»
      «Hoffentlich regnet es nicht wie letztes Jahr.»
      Wegen Henry war Emily letztes Jahr nicht da gewesen, doch sie hatte die Horrorgeschichten gehört - die Kinder hatten sich den ganzen Tag mit Videospielen beschäftigt und sich gestritten. Sie sah vor sich, wie Arlene das Haus verließ, sich einen Poncho überwarf, ihren Spaziergang bei der Fischbrutanstalt machte und ihre Luckies mit der hohlen Hand vor dem Regen schützte.
      «Bestimmt nicht», sagte Emily. «Und falls doch, wird uns schon irgendwas einfallen. Zum Beispiel Karten spielen.»
      «Ich weiß noch, dass Justin unheimlich gern Schach gespielt hat.»
      «Und Ella findet das mit dem Fernsehen nicht so schlimm. Sam ist derjenige, der immer ausflippt.»
      «Vielleicht sollten wir ein Zeitlimit setzen. Wer kommt als Erstes an?»
      «Kenneth.»
      «Vielleicht solltest du mal mit Lisa sprechen.»
      «Ich kann's versuchen», sagte Emily.
      «Habt ihr beide euch wieder versöhnt?»
      «Wir sind höflich zueinander. Sagen wir es mal so.»
      «Meine Güte.» Arlene fuhr langsamer, um ein riesiges viktorianisches Haus zu betrachten, das in knalligen Senf- und Himbeertönen gestrichen war. PLUMBUSH BED AND BREAK-FAST verkündete ein verspieltes Plakat, das wie ein Kneipenschild über der Tür hing. Von der Veranda blickte man auf einen behelfsmäßigen Heuwagen auf der anderen Straßenseite und, weiter hinten auf dem
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