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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua
Autoren: Stewart O'Nan
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aufbrechen, damit sie mittags da waren, aber Arlene verspätete sich, machte großes Getue wegen Rufus und breitete umständlich ein ausgeblichenes Steelers-Handtuch über den Rücksitz. Emily versicherte ihr, dass er an diesem Morgen kein Futter bekommen hatte, doch Arlene ließ sich nicht davon abhalten, das Handtuch in den Ritzen festzustecken. Genau darüber hatten sie sich bereits gestritten, als sie an Weihnachten Kenneth besucht hatten. Es war völlig sinnlos. Der Wagen stank nach Arlenes Luckies, daran würde sich auch nichts ändern.
      «Ihm geht's gut», beteuerte Emily.
      «Sicher ist sicher.»
      «Er hat damit keine Probleme mehr.»
      «Ich dachte mehr wegen der Haare.»
      «Ich bitte dich», sagte Emily lachend, «ein Handtuch hilft da auch nicht weiter. Wenn wir angekommen sind, sauge ich den Sitz ab.»
      «Irgendjemand muss sich drum kümmern.»
      «Ich mach das.»
      Diese ewigen Auseinandersetzungen, dachte Emily. Sah Arlene denn nicht, dass es diesmal anders war? Henry führte die Engstirnigkeit seiner Schwester auf ihre Lehrerinnentätigkeit zurück, doch Emily fand, das war bei Arlene eher angeboren. Arlene schien ständig auf der Hut zu sein, zu befürchten, dass sie irgendwie betrogen wurde. Das ergab einen Sinn: Henry war das Nesthäkchen gewesen, der Liebling ihrer Eltern, Ingenieur wie sein Vater. Ein Leben lang hatte Arlene um jedes bisschen Zuwendung kämpfen müssen.
      Aber sie sind alle tot, hätte Emily am liebsten gesagt. Du kannst jetzt damit aufhören.
      Rufus hatte Hüftprobleme, und Emily musste ihm in den Wagen helfen. Arlene sagte kein Wort, während sie das Handtuch zurechtzupfte. In Wahrheit wurde es Rufus beim Autofahren immer noch übel, aber er musste sich nicht mehr übergeben. Im Lauf der Jahre hatte er gelernt, den Kopf unten zu lassen, sodass ihm von dem endlosen Karussell der Bäume und Felder nicht länger schwindlig wurde, doch er zuckte und hickste noch immer, als würde er sich erbrechen. Aber er sabberte nur, und ihm hingen lange, klebrige Speichelfäden aus dem Maul, die sich wie Spinnweben in seinem Fell verfingen. Und es stimmte schon, er haarte stark. Diesen Sommer hatte eine Affenhitze geherrscht. Vor den Fußleisten im Schlafzimmer hatten dunkle Fellbüschel gelegen, die sich, sobald man mit dem Staubsauger kam, überall verteilten, doch bei einem Springerspaniel war das normal.
      Konnten sie oder Arlene etwa behaupten, sie seien würdevoller gealtert? Rufus war vierzehn und hatte jeden Sommer am See verbracht. Er hatte es sich verdient, ein letztes Mal mit Emilys Enkeln herumzutollen, ein letztes Mal beim Steg zu schwimmen, ein letztes Mal auf dem kühlen Verandaboden zu dösen. Falls nötig, würde sie Arlenes Sitze absaugen.
      Das Haus war abgeschlossen, die Fenster zu, der Anrufbeantworter an. Die Post ließ sie lagern, das Gemüsefach hatte sie gründlich sauber gemacht. Im Olds war vorsichtshalber nur ganz wenig Benzin, für den Fall, dass jemand in die Garage einbrach, um ihn zu stehlen. Ihre Nachbarin Marcia hatte einen Schlüssel und die Nummer in Chautauqua. Falls Emily etwas vergessen hatte, dann fiel es ihr zumindest nicht ein.
      «Auf geht's», sagte Emily und schaute auf Henrys alte Armbanduhr, die sie am Handgelenk trug.
      Arlene fuhr langsam, beugte sich übers Lenkrad und starrte über ihre Hände hinweg wie ein Schiffslotse bei Nebel. Es war bereits heiß, und die Klimaanlage war ein Geschenk des Himmels. Die Schatten der Bäume zeichneten sich scharf auf den menschenleeren Gehsteigen ab. In den von der Dürre braun gefärbten Gärten drehten sich die Sprinkler ruckartig im Kreis. Herrlich, in Bewegung zu sein und die reglose Stadt zu verlassen, als würden sie aus einem großen Palast fliehen, während alle anderen schliefen.
      Auf dem Boulevard of the Allies herrschte überraschenderweise nur wenig Verkehr, unten floss braun und träge der Monongahela, und am anderen Ufer zuckelte ein Kohlenzug. Die kilometerlangen Fabriken waren verschwunden, nur noch ebene, von Maschendrahtzäunen geschützte Felder waren zu sehen. Als sie den grünen Allegheny überquerten, erhoben sich hinter ihnen die funkelnden neuen Gebäude der Innenstadt, der Brunnen am Point versprühte perfekte weiße Bögen, und unten tuckerte ein Frachtkahn flussaufwärts - ein Blick wie auf einer Ansichtskarte. Sie wusste, in einer Woche würde sie zurückkommen und all das hässlich finden - oder bloß entmutigend, denn es würde
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