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Abonji, Melinda Nadj

Abonji, Melinda Nadj

Titel: Abonji, Melinda Nadj
Autoren: Tauben flieggen auf
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historischen
Datum heiratet, und Vater kippt den Schnaps mit einem heftigen Schwung in den
Hals, stellt das Glas auf den Tisch zurück, füllt sofort wieder nach, schaut
uns an, ärgert sich wahrscheinlich über unsere ratlosen Gesichter, sicher
nervt ihn Mutter, die sagt, dass er das mit der Gratulation besser bleiben
lassen solle, und Nomi und ich teilen uns die letzte Palatschinke, Zimt und
Zucker, das sind die Besten, sagt Nomi und schaut mich fragend an, Schokolade
mit Baumnüssen, antworte ich, Zimt!, so Nomi, Zucker!, antworte ich, lecker!
Ohne uns abzusprechen, spielen Nomi und ich eines unserer Wortspiele, wir
spielen uns Wörter zu, die sich entweder am Wortanfang oder am Wortende reimen,
locker!, wir spielen, weil wir ahnen, was jetzt kommt, Loch!, und Mamika macht
mit, Koch!, frech!, so Nomi, aber Vater ist schon im Bunker, in seinem Bunker,
wie Nomi und ich es nennen, er schiebt seinen Unterkiefer hin und her, zeigt
seine goldenen Vorderzähne, die in solchen Momenten immer einen frisch
geschliffenen Glanz haben, ein paar Mal ist es uns gelungen, Vater abzulenken,
frisch!, aber diesmal nicht. Er ignoriert uns, streckt sein Schnapsglas so in
die Luft, als trage er eine lodernde Fackel in der Hand, auf Nándors Hochzeit!,
ruft er, auf den 4. 8. 1980!, und Vater kippt den Schnaps, stellt das Glas dann
knallend auf die Tischplatte zurück, wollt ihr nicht mit mir anstossen, fragt
er, ist die Hochzeit meines Neffen nicht Grund genug, um wenigstens ein
Schnäpschen mit mir zu trinken?
    Nomi und ich sind verstummt,
wir rutschen auf unseren Stühlen hin und her, wir tun beide dasselbe, nämlich
nach einem geeigneten Grund suchen, um aufzustehen, um nicht mitzuerleben, wie
Vater in seinem Bunker hockt, niemanden mehr an sich ranlässt, ich muss mal,
sagt Nomi, ich gehe mit, und Nomi und ich fassen uns rasch an unseren Fingern,
Mutter, die uns mit einem dringenden Blick zum Bleiben bittet, aber wir wollen
nicht, wir sind schon fast draussen, als wir Mamika noch mit ruhiger Stimme
sagen hören, weisst du was, ich werde heute Abend für dich beten, dass du an Nándors
Hochzeit nicht ersäufst!, und als wir dann in Mamikas Garten durch die Spalten
der Holzzäune in die Innenhöfe der benachbarten Häuser spähen, fragt mich
Nomi, was meinst du, wie lange wird es dauern?
    Nein, es wird keine Stunde
dauern, dann wird die Schnapsflasche leer sein und Vaters Kopf auf der Tischplatte
liegen, alle Beschwörungen und Flüche werden sich mit dem Obstgeist vermischt
haben, und Vater wird im Tiefschlaf verschwunden und traumlos glücklich sein,
Mutter jedenfalls glaubt, dass Vater sich mit seinen Schnapsexzessen von seinen
Albträumen befreit, was für Albträume?, so fragten Nomi und ich, nachdem Vater
sich an einem Silvesterabend noch vor Mitternacht fast bis zur
Bewusstlosigkeit betrunken hatte. Wegen früher, antwortete Mutter, wegen der
Geschichte. Wie, was für eine Geschichte?, und Mutter stockte, als hätten wir
eine von jenen schwer zu beantwortenden Fragen gestellt, die Kinder stellen:
Was ist hinter der Sonne? Warum haben wir keinen Fluss in unserem Garten? Die
Kommunisten haben sein Leben zerstört, sagte Mutter in einem Tonfall, den wir
noch nie bei ihr gehört hatten, aber das wird euch Vater irgendwann selbst
erzählen, wenn ihr grösser seid. Grösser, wann ist das? Irgendwann, wenn der
richtige Zeitpunkt da ist, in ein paar Jahren, wenn ihr das Ganze besser verstehen
könnt.
     
    Wir steigen aus unserem Wagen,
Nomi und ich hängen uns bei Mamika ein, Mutter bei Vater, und unsere Absätze
klappern auf den Pflastersteinen, unsere Kleider knistern nicht mehr, sondern
rauschen in der heissen Luft, es ist so heiss, dass ich zu Nomi sage, schau
mal, der Himmel ist weiss, aber irgendwie schmutzig weiss, antwortet Nomi, und
wir passen uns Mamikas langsamen, gleichmässigen Schritten an, und als wir um
die Ecke biegen, schaut Vater mit einem schrägen Blick zu uns, sagt, dass das
Empfangskomitee uns bereits erwarte, Juli, die vor Onkel Móric' und Tante
Mancis Haus steht, uns zuwinkt, ja, unsere Julika will auch etwas von der
Hochzeit haben, sagt Mamika und winkt zurück. Ist sie auch eingeladen, fragen
Nomi und ich, und Mamika lacht, Julika ist zu jedem Fest eingeladen oder anders
gesagt, es wäre kein gutes Zeichen, wenn sie bei einer Hochzeit fehlen würde,
trotzdem darf sie nicht rein, ins Zelt, und obwohl wir nicht verstehen, was
Mamika genau meint, fragen wir nicht weiter, und Juli, die so lange mit beiden
Armen
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