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Abonji, Melinda Nadj

Abonji, Melinda Nadj

Titel: Abonji, Melinda Nadj
Autoren: Tauben flieggen auf
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ich besonders gern mag: Nomi und
ich, wie wir uns gerade wegdrehen (ein plötzlicher Windstoss, der uns Sand ins
Gesicht wehte), unsere Körperhaltung, die eine abrupte Bewegung erahnen lässt;
vor allem aber erinnert mich das Foto daran, wie wir mit Sand in Augen, Nase,
Mund gelacht haben, endlos lange.
    Ich setze mich aufs Bett, esse
noch ein Butterbrot, nicke ein, mit den neu aufgehängten Bildern über meinem
Bett, ich wache auf, höre Laurent immer noch spielen, schlafe wieder ein.
    Wir haben die Rollen
getauscht, du hast früher nie verschlafen, sagte Nomi, nachdem sie an
Allerheiligen heftig gegen mein Fenster geklopft hat, ich aufgeschreckt bin,
mit verklebten Augen das Fenster geöffnet habe, wieso hast du nicht geklingelt?
Habe ich, antwortete Nomi, aber du hast offenbar nichts gehört, ich, die rasch
einen Pullover anzieht, eine Hose, öffne die Tür, fahre mir kurz durch die
Haare, bevor Nomi und ich uns umarmen, komm rein, und wir setzen uns in die
Küche, hier, das ist von Mutter, und Nomi langt in ihre Tasche, saure Gurken,
Paprikawürste, Knoblauchspeck, Suppennudeln, Akazienhonig, Mohn- und
Quarkstrudel, alles andere habe ich zu Hause gelassen und Mami damit
vertröstet, dass ich dich ja bald wieder besuche, wie geht es dir, fragt Nomi.
Meine Zunge schläft noch, antworte ich, Kaffee ist keiner mehr da, ich mache
mich ein bisschen frisch, und wir gehen ins Cafe hier um die Ecke, in Ordnung?
    El Zac, so heisst das Cafe und
wird von einem spanischen Ehepaar und ihren drei Kindern geführt; Nomi und
ich, wir stehen im Eingang, verständigen uns wortlos darüber, wo noch die
besten freien Plätze sind, wir setzen uns hin, bestellen zwei doppelte
Espressi, inspizieren den Raum, die Möblierung, unsere Blicke wandern zur
Kaffeemaschine, eine Kolbenmaschine, kein Automat!, innerhalb kürzester Zeit
wissen wir, ob die Lüftung gut ist, was alles auf der Speise- und Getränkekarte
steht, hast du gesehen, wie viel der Cappuccino kostet, ja, fünfzig Rap pen teurer als bei uns; und
natürlich testen wir, ob der Kaffee schmeckt und wenn ja, wer der Lieferant ist
- wir tauchen ein in eine Welt, die wir seit langem miteinander teilen - bist
du jetzt wach, fragt Nomi, als wir ausgetrunken und bezahlt haben, ja!, und wir
stehen auf, winken dem Ehepaar noch zu, und vor der Tür bleiben wir kurz
stehen, um einen Blick auf die Öffnungszeiten zu werfen, die haben einen langen
Tag, sagen wir, die Miete, wahrscheinlich zu hoch! Nomi und ich, wir gehen los,
überqueren die Weststrasse, schauen uns das Schaufenster einer Glaserei an,
sind verblüfft darüber, wie waghalsig die zerbrechlichen Waren ausgestellt
sind, der Besitzer ist wahrscheinlich ein ehemaliger Seiltänzer, sage ich, und
wir gehen weiter, und ich zeige Nomi, was ich im Quartier schon entdeckt habe,
den schönen Kindergarten, den Antiquitäten-Laden am Idaplatz, der von einem
mürrischen, freundlichen Tschechen geführt wird, den Quartier-Bio-Laden, der
alles hat, obwohl er so winzig ist, und im Blumenladen an der Bertastrasse
kaufen wir einen Strauss Herbstblumen, wir gehen weiter die Bertastrasse hoch,
ich zeige rechts zum Schulhaus Ämtler, wo an Wahlsonntagen die Abstimmungsurnen
aufgestellt sind, und Nomi bleibt einen Moment lang stehen, schaut in den
Novemberhimmel, ein blauer Novembertag, sagt sie, eine schöne Ausnahme, und wir
gehen weiter, an japanischen Kirschbäumen vorbei, biegen dann rechts in die
Goldbrunnenstrasse, und nach ein paar Schritten sind wir da, wo wir hinwollten.
     
    Ich wäre nie darauf gekommen,
Nomi, die mich angerufen hat, um mir zu sagen, dass sie mich an Allerheiligen
abhole, ihr Freund habe ihr erzählt, auf dem Friedhof Sihlfeld gebe es ein
Gemeinschaftsgrab, und da, quasi bei der WG unter den Gräbern, könnten wir
doch zusammen Blumen hinlegen für unsere Toten; statt diesem Tag ständig aus
dem Weg zu gehen, könnten wir ihm doch wieder die Bedeutung geben, die er hat,
ausserdem wussten wir ja nicht, wie lange es noch dauert, bis wir wieder in die
Vojvodina zurückkönnen, und ich, die den Hörer in der Hand hielt, im ersten
Moment gar nicht wusste, ob ich Nomi richtig verstanden hatte, hast du gehört?
    Wir sind durch den Friedhof
Sihlfeld gegangen, der so schön ist, weil er ungewöhnlich gross und weit ist,
wir haben Bäume bewundert, die Platz haben zum Wachsen, riesige Eichen und
Platanen, alle Arten von Kastanien, die bereits ganz nackt waren, eine
zierliche Birkenallee, sogar Ginkgos haben wir entdeckt, deren
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