Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abonji, Melinda Nadj

Abonji, Melinda Nadj

Titel: Abonji, Melinda Nadj
Autoren: Tauben flieggen auf
Vom Netzwerk:
allen Farben in der Luft hängen, rote Nelken, die wir
zu einem Herz geflochten haben und mit ausgewählten Heiligenbildchen da
befestigt haben, wo das Brautpaar morgen sitzen wird; und fast schäme ich mich
für Lujza, dass sie wegen dem bisschen Papier- und Blumenschmuck so stolz und
aufgeregt ist, sie kennt eben die wirkliche Aufregung nicht, Jungs mit richtig
sitzenden, modischen Jeans, halsbrecherische Achterbahnen, sie tut mir leid,
dass sie wahrscheinlich noch nie in ihrem Leben ein richtiges Schaufenster
gesehen hat.
    Ich, die nach immer neuen
Sachen sucht, die Lujza in ihrer Naivität entlarven, setze mich mit Nomi etwas
abseits hin, als Onkel Móric mit ein paar Männern die Lichterketten montieren,
wir schauen zu, wie die Männer hängen, umhängen, weil Lujza wieder Bescheid
weiss, aber als wir das fertig geschmückte, beleuchtete Zelt sehen, die langen,
mit weissen Tischtüchern gedeckten Tische, die vielen Gläser und Teller, die zu
Fächern gefalteten Servietten, sind wir doch sprachlos, dass es nicht
primitiv, sondern festlich aussieht.
    Und wir?, wie sehen wir denn
aus, als wir vor dem Zelt stehen, vom Brautführer begrüsst werden, das
grasgrüne, knöchellange Kleid von Mutter, Nomi, die für die 50er Jahre schwärmt
und ein rosarotes Tüllkleid trägt, Vater, der in einem Anzug, so finde ich
jedenfalls, immer sehr elegant und ernst aussieht, ein hellgrauer Anzug, ein
weisses Hemd und eine in drei Farben schillernde Krawatte, und ich trage einen
knielangen, eng anliegenden, weissen Jupe, eine hellblaue Bluse, die die
Schultern freilässt (und wenn ich nicht wüsste, dass ihr es seid, hätte ich
euch nicht erkannt, sagte Mamika, als wir uns umgezogen haben), als wir so vor
dem Zelt stehen, der Brautführer irgendwas von wegen weit gereist sind sie,
sagt, vergisst die Hochzeitsgesellschaft, weiterzuessen, Suppenlöffel bleiben
in der Luft, an Brotbissen wird nicht mehr gekaut, und einen Moment lang kommt
es mir so vor, als müssten wir rückwärts wieder raus, damit alles seinen
gewohnten Lauf nehmen kann, ohne uns — aber schon im nächsten Moment werden wir
lachend zu Tisch gebeten, geben uns Tante Manci und Onkel Móric schmatzende Küsse,
das Brautpaar, das uns umarmt, die Hände drückt, beteuert, dass sie sich
freuen, von so weit her!, für uns, für unseren Tag!
    Und schon haben wir eine
dampfende Suppe vor uns, eine Hühnersuppe mit beeindruckenden Fettaugen,
Füssen, Herzen, Lebern, und derjenige, der das Hirn kriegt, wird so gescheit
sein wie Einstein!, so ruft man sich zu; gelbe Bohnensuppe mit Essig und
Sauerrahm, grüne Erbsensuppe mit Taubenfleisch, die alle grossartig finden,
Tante Manci, die das Geheimnis ihres Süppchens nicht preisgibt, aber soviel
verrat ich euch, bei mir kommt nur ganz junges Taubenfleisch rein!, und
natürlich die Fischsuppe mit ganzen Karpfenköpfen, die in der Sommerküche in
einem Kessel vor sich hinköchelt.
    Und weiter geht's mit leichten
Fleischgerichten: knusprig gebratene Hühner und frittierte Kartoffeln,
hauchdünn geklopfte, panierte Schweineschnitzel mit Petersilienkartoffeln, und
die Musiker singen, und alle singen mit, wir treffen uns bald, wir treffen uns bald in einem
andern Land .. . Kalbfleisch mit frischen
Champignons, dazu Sauerrahm und Knödel, hört auf, ruft jemand, sonst können wir
nicht mehr in die Kirche, dann müsst ihr die Trauung abblasen! Trotzdem wird
noch fasirt aufgetragen,
weil Tante Mancis Hackfleischgerichte unwiderstehlich sind — wir essen beim
Mittagessen schon so viel, dass Nomi schwört, sie werde den ganzen Tag nichts
mehr essen können, wart's ab, meint Mamika lachend, das Fest hat erst gerade
angefangen!
    Am frühen Nachmittag taumelt
die Hochzeitsgesellschaft zur Kirche (alle schwärmen nochmals von der
Taubensuppe oder vom köstlichen Hackfleisch oder unterhalten sich darüber, was
es nach der Trauung alles geben wird), ein dickes, träges Tier hockt in der
Kirche, ein paar Onkel, die von ihren Ehefrauen am Schlafen gehindert werden, lasset
uns beten, sagt der Pfarrer, als es sich gerade so gemütlich sitzt, seine
Stimme poltert Amen! in den anstrengenden Akt des Verdauens hinein, und
endlich, endlich kommt die Hauptsache, das Zeremoniell: Ist das Hochzeitspaar
nicht wunderschön, ist es nicht fast durchsichtig vor Glück, fragt Mutter
gerührt, und beim Ja-Wort bricht die halbe Hochzeitsgesellschaft wie auf
Kommando in Tränen aus (Mamika, die mir ins Ohr flüstert, oh, das viele
Wasser!, dann können alle wieder
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher