Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abonji, Melinda Nadj

Abonji, Melinda Nadj

Titel: Abonji, Melinda Nadj
Autoren: Tauben flieggen auf
Vom Netzwerk:
Innenhof sieht der
Chevrolet irgendwie weltfremd aus, denke ich, als Mutter ihre Hände auf unsere
Schultern legt, Nomi und ich auf das Ende des Schauspiels warten, ein Käuzchen,
das irgendwo auf einem Baum hockt und uns mit seinem schüchternen Ruf
begleitet, wir können unser Gepäck ja schon reintragen, sagt Mutter, ihr wisst
ja, das kann länger dauern, und sie packt zwei Taschen, marschiert los,
Richtung Haus, aber Nomi und ich, wir bleiben auf unseren Koffern sitzen,
streifen unsere Schuhe ab, und die Steine sind so heiss, dass wir sie nur mit
den Zehenspitzen antippen können, wahnsinnig heiss, sagt Nomi, ja!, und wir
schielen zum Chevrolet, zu unserem Vater, der hinter dem Steuerrad hantiert,
seine Schneidezähne, die immer wieder scharf hinter der Frontscheibe
aufblitzen, und erst später, als wir uns an diese merkwürdige Szene erinnern,
wissen wir, warum wir damals auf unseren Koffern sitzengeblieben sind, obwohl
es uns unangenehm war zuzusehen, wie hilflos Mamika ihren Kopf drehte, zu Vater
und dann wieder zu uns schaute, ihr schwarzes Kopftuch, das ihr tief in die
Stirn gerutscht war; wir wären bestimmt rasch aufgestanden, um nicht allzu
lange über Mamikas Hilflosigkeit irritiert zu sein, aber Vater, unser Vater?, sah
trotz seiner Zigarette, seinem undurchdringlichen Schnauz, seinen goldenen
Zähnen, seinen Furchen auf Stirn und Wangen, unser Vater sah mit einem Mal um
Jahre jünger aus, ein Junge, der mit der hellen Begeisterung eines Kindes
seiner Mutter von seiner neuen Errungenschaft erzählt und von ihr ganz
dringend ein zärtliches Lob, eine Anerkennung will (und Mamika wird es ihm
geben, das Dringende, Notwendige, obwohl sie sich völlig fehl am Platz vorkommt,
wird sie merken, was er von ihr braucht) - Nomi und ich, wir bleiben sitzen,
weil wir diesem Jungen möglichst lange zuschauen wollen, so lange, dass wir ihn
nie mehr vergessen.
    Weil Onkel Móric' und Tante
Mancis Haus von Klapperkisten, Trabbis, Skodas, Ladas, Yugos umzingelt ist,
können wir nicht vorfahren, müssen wir, weil wir zu spät sind, in eine kleine
Seitenstrasse einbiegen, wir müssen wieder einmal auf- und abschaukeln, unsere
neuen Festtagskleider, die bei jeder kleinsten Bewegung knistern, und Vater
brummelt, weil ihn alles nervös macht, das Knistern, diese blöde gyik utca, Eidechsenstrasse, in der
womöglich unser Wagen geklaut wird, die Sonne, die durch die Scheibe blendet,
das Brautpaar wird uns heute wegschmelzen, sagt er, und wir lachen, Mamika,
Mutter, Nomi und ich, aber Vater nicht, er lockert seinen Krawattenknopf, als
er den Motor abstellt und mit dem Taschentuch über seine Stirn und das
Steuerrad fährt, und Vater schwitzt nicht nur, weil es heiss ist, sondern weil
ihm gestern Abend aufgefallen ist, dass das Brautpaar, Nándor und Valeria,
exakt drei Monate nach Titos Tod heiratet, am 4. 8. 1980!, und Vater musste
diesen Umstand reichlich begiessen. Zufall, sagt Mutter, und wir sitzen um
Mamikas Küchentisch, Nomi und ich essen Palatschinken, während Mamika erzählt,
wieviel Geflügel schon Tage im voraus geschlachtet worden sei, und ausserdem
ein Schwein, ein Kalb, zwei Lämmer, die vielen Eimer, in denen das Blut
aufgefangen worden sei, wie viele Kilo Paprika mit Hackfleisch gefüllt worden
seien, dass Tante Manci ihren berühmt berüchtigten Geiz vergessen, für die
Hochzeit ihres Sohnes die Vorratskammer gnadenlos geplündert habe, und Mamika
sagt, dass zweihundertfünfzig Gäste erwartet würden, dann kommen bestimmt
dreihundert, meint Mutter, und als sich die Erwachsenen darüber unterhalten,
dass eine Hochzeit eben die Eltern des Brautpaares ruiniere, das gehöre dazu,
zu einem richtigen Fest!, als Mamika erzählt, es gebe mindestens fünf
verschiedene Fleischgerichte, Eintöpfe, Gebratenes, und das Lamm werde direkt
im Hof grilliert, da schlägt Vater sich gegen die Stirn, mein Gott, ruft er,
warum ist mir das nicht früher aufgefallen?, mein Neffe heiratet an einem
historischen Datum, und Nomi hat noch ein Stück Palatschinke im Mund, als sie
fragt, ein historisches Datum, was ist das? Vater holt endlos lange aus, merkt
gar nicht, dass er sein Wasserglas mit Schnaps füllt, hör doch auf, unterbricht
Mutter ihn irgendwann, purer Zufall, dass die Hochzeit an diesem Datum
stattfindet, du solltest doch wissen, wie lange im Voraus man so ein Fest
planen muss. Zufall, vielleicht, antwortet Vater, aber ein schöner Zufall, ich
jedenfalls werde dem Brautpaar gratulieren, dass es an diesem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher