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Abonji, Melinda Nadj

Abonji, Melinda Nadj

Titel: Abonji, Melinda Nadj
Autoren: Tauben flieggen auf
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zu
erzählen, von der Arbeit in unserem Geschäft, W äscherei, G lätterei, B üglerei , steht auf einem schwarz-weissen Schild, und Vater
malt vor Mamikas Augen Buchstaben in die Luft und Zahlen, wieviel ein
gebügeltes Hemd kostet, ein Tischtuch, ein Unterhemd, wieviel Rabatt es gibt,
wenn jemand gleich zehn Hemden bringt, und Mutter beschreibt, was für
komplizierte Stoffe die Reichen haben, das müssen die Finger erst mal lernen,
wie man das Bügeleisen über diese Stoffe führen muss, bei so einem Preis darf
kein Fältchen zu sehen sein, sagt sie, und ich, die mit einem Ohr meinen Eltern
zuhört, unterhalte mich fast lautlos mit Nomi darüber, wie unsere Freundinnen
auf unser Traubisoda reagieren würden, Betty sagt bestimmt, nicht schlecht,
aber nichts Besonderes!, und Claudia dreht das Fläschchen wahrscheinlich hin
und her und sagt dann gar nichts oder zuckt bloss mit den Schultern, es ist ja
nicht einfach, etwas zuzugeben, meint Nomi, ja stimmt!, es ist nicht fair, wenn
wir unsere Freundinnen zum Lügen zwingen, so unsere Überlegung, wir schwärmen
lieber von Traubisoda und warten auf den Tag, wo es viel berühmter sein wird
als alles andere, berühmter sogar als Coca-Cola, ja klar!, und Nomi schenkt uns nochmals
nach, Vater und Mutter, die inzwischen erzählen, dass wir auch ausliefern, die
gebügelte Wäsche in grossen Körben, meistens abends, in die Häuser unserer
Kunden bringen, natürlich kostet das extra, wenn wir da in die Hügel
hinaufkurven, die wohnen ja lieber oben, die Reichen, sagt Vater und lacht,
und während er noch von den Hunden erzählt, die ihn beim Ausliefern schon
angefallen oder fast angefallen haben, denke ich daran, wie wir uns im Keller,
da, wo zwei Waschmaschinen stehen, Weichspüler, Waschmittel und Spezialseifen,
unzählige Plastikkörbe in allen Grössen und Farben, Stoffsäcke mit
Wäscheklammern und ausserdem ein Büffet mit Geschirr, Gewürzen und einer
Kochplatte, wie wir uns an den kleinen Holzüsch setzen, den Vater auf der
Strasse gefunden hat, und wir da, wo es immer kalt ist und die frisch
gewaschene Wäsche hängt, zu Mittag essen, schweigend, weil Vater es nicht mag,
wenn wir während dem Essen reden. Nomi und ich, wir messen, wenn wir ungestört
sind, die unförmigsten Unterhosen mit unseren Fingern aus, stellen uns vor, wie
oft unsere Schenkel und Hintern da hinein passen, in diese Fallschirme!, die
Reichen müssen auch aufs Klo, und manchmal sind sie sogar richtig fett, sagen
wir kichernd, aber ich schäme mich, wenn die betreffende Person ihr Wäschepaket
abholt, ich ihr beim Einkassieren in die Augen schauen muss, und das weiss
niemand, nicht einmal Nomi.
    Das klingt nach harter Arbeit,
sagt Mamika, schneidet Brot, eine fingerdicke Scheibe, die sie Vater hinhält.
Aber wir verdienen, und keiner schreibt mir irgendetwas vor, antwortet er,
zeigt seine Zähne und füllt sein Gläschen wieder auf, erzählen Sie doch,
Mamika, müssen Sie sich immer noch anstellen für dieses lächerliche Brot,
mitten in der Nacht, jetzt, wo der König aller Partisanen endlich tot ist?,
oder können Sie jetzt Brot kaufen, am Nachmittag oder irgendwann ... ?
    Und Vater wird gleich von den
Grundunterschieden zwischen Ost und West zu reden anfangen, von den
grundsätzlichsten Unterschieden, die es im Universum überhaupt geben kann, und
sich dabei ein Schnäpschen nach dem anderen in den Hals werfen, die selbst
gebrannte Birne von Onkel Móric, jetzt, in diesem Jahr, wo der Genosse Josip
Broz Tito gestorben ist und sich bewahrheiten wird, was alle, zumindest die
Intelligenten, schon längstens wissen, dass es mehrere Generationen dauern
wird, bis sich die sozialistische Misswirtschaft erholen wird, wenn überhaupt!
(und das alles und noch viel mehr haben wir schon während unserer Reise
erfahren), als Vater schon richtig in Fahrt kommen will, sagt Nomi ganz
unerwartet, mit der unnachgiebig grellen Stimme, mit der sie sonst um
Süssigkeiten bettelt, ich will, dass Mamika jetzt mit mir redet, ich will, dass
Mamika jetzt erzählt. Und sie fragt Grossmutter, wie viele Junge die Schweine
haben, fragt nach den Gänsen, Hühnern, ob wir später Eier holen können, sie
will wissen, ob Mamika den Enten immer noch das Maul stopft, ob Juli immer noch
für sie auf dem Markt einkauft, und der Garten von Herrn Szalma, wie sieht der
aus? Und Nomi hängt sich an Mamikas Hals, redet und redet immer weiter, so dass
Mutter über ihr hitziges Gesicht fährt und sagt, wir sind ja gerade erst
angekommen,
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