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Aber Mutter weinet sehr: Psychothriller (German Edition)

Aber Mutter weinet sehr: Psychothriller (German Edition)

Titel: Aber Mutter weinet sehr: Psychothriller (German Edition)
Autoren: Wolfgang Brenner
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meinem Bruder – ging es gut. Doch mein Vater wurde krank und musste in der Schule aufhören. Sie leben von ihrer Rente. Aber sie haben mich dennoch aufgenommen, als ich mit Kevin nicht weiterwusste. Er ist ihr einziger Enkel. Sie hängen an ihm. Vor allem mein Vater. Er ist verbittert, seit er nicht mehr unterrichten kann. Der Junge war das Einzige, was ihn aufgemuntert hat. Sie haben auch nicht darauf gedrängt, dass ich ausziehe. Ich wollte weg. Auch wegen Kevin.«
    »Warum hast du dich nicht mehr bei deinen Eltern gemeldet?«
    »Das habe ich. Ich habe regelmäßig angerufen.«
    »Auch von München aus?«
    »Natürlich. Mein Vater wäre sonst eingegangen wie eine Primel.«
    »Sie haben der Polizei erzählt, dass sie seit Monaten nichts von dir und dem Jungen gehört hätten.«
    Lores Kopf fuhr herum. »Haben sie das? Ja?«
    »Ja!«, antwortete Marie unwillig. Manchmal reizte Lore sie mit ihrer spröden Art.
    »Ich glaube, das hat damit zu tun, dass sie Angst haben, mir oder dem Jungen zu schaden. Sie sind nicht blöd, beide nicht, wirklich.« Lore hob ihre Stimme, sie wurde jetzt fast kämpferisch. »Sie sind sogar klug.« Sie machte eine kleine Pause und fügte dann leise hinzu: »Sicher klüger als ich.«
    »Und Tom? Sie sagen, sie kennen ihn nicht.«
    Lore zog die Augenbrauen hoch. »Nicht gut. Sie haben ihn nur ein- oder zweimal gesehen. Tom hat sich um sie bemüht. Aber sie haben ihn auflaufen lassen. Es war eben der Mann aus dem Westen, der ihnen ihren Enkel weggenommen hat.«
    Womit sie gar nicht mal so falschlagen, dachte Marie.
    Es regnete, und es dämmerte bereits, als sie die Autobahn verließen, um auf der B 95 in die Stadt zu gelangen.
    Lore saß plötzlich kerzengerade, ihr Kopf klebte fast an der Windschutzscheibe.
    »Rechts ist unser Klinikum, links der Küchwaldpark«, erklärte sie aufgeräumt. »Da gibt es eine Parkeisenbahn und das Kosmonautenzentrum Siegmund Jähn. Der Weltraumfahrer. Schon mal gehört?«
    Chemnitz sah aus wie eine westdeutsche Kleinstadt.
    »Wir müssen auf die Annaberger Straße. Meine Eltern wohnen in der Nähe der Technischen Universität.« Lore lotste Marie durch die Innenstadt. So kamen sie schnell in die südlichen Randbezirke. Hier war es grün und licht. Keine schlechte Gegend.
    Lores Eltern wohnten zur Miete in einer stillen Seitenstraße. Außer ihnen gab es noch zwei Parteien in dem etwas vernachlässigten Haus. Obwohl es dunkel war, sah Marie, dass Unkraut den Vorgarten dominierte. Die Steinwege waren rissig. Der Verputz blätterte ab.
    Lore läutete. Eine Gegensprechanlage gab es nicht. Ein Summen ertönte. Die Haustür sprang von selbst auf.
    »Warte«, sagte Marie. Ihr Herz pochte schon wieder. »Was tun wir, wenn er da ist?«
    »Tom?«
    »Ja.«
    »Der ist nicht da«, zischte Lore. »Meine Eltern haben nichts von ihm gehört.«
    Doch Marie war sich sicher, dass Tom in Chemnitz war. Wer sonst sollte den Eltern das Märchen von dem Mann erzählt haben, wegen dem Lore ihr Kind zurückgelassen hätte? Tom hatte hier mit Kevin Unterschlupf gesucht – bei Lores Eltern. Weil er sicher sein konnte, dass sie für ihren Enkel alles tun würden. Dass sie auch ihn decken würden, wenn es Kevin nützte.
    Lore war schon auf der Treppe. Marie folgte ihr.
    Der Flur war eng und stickig. Es roch nach regennassen Kleidern, die nicht gelüftet worden waren. Auf den Stufen der Holztreppe standen ausgetretene Schuhe.
    Die Eltern wohnten im ersten Stock.
    Aus der Wohnung war kein Geräusch zu hören.
    Lore klopfte vorsichtig. Sie wandte sich zu Marie um und zog die Augenbrauen hoch.
    Als niemand öffnete, klopfte Lore wieder. Diesmal heftiger.
    Es dauerte. Dann wurde die Tür einen Spalt geöffnet. Drinnen war es stockdunkel. Ein schmales Frauengesicht erschien. »Du?«
    »Ja, ich«, sagte Lore.
    Die Frau öffnete die Tür. Sie war groß und sehr dünn. Sie trug weite Hosen mit Bügelfalten und einen hellgrauen Pullover. Ihre Haare waren kraus und kurz. Sie war früher sicher schön gewesen, jetzt aber wirkte ihr Gesicht eingefallen und müde.
    Sie schloss Lore in die Arme.
    Doch dann ließ sie ihre Tochter los und wandte sich Marie zu. Marie reichte ihr die Hand. Die Frau fixierte sie mit zusammengekniffenen Augen. »Und Sie? Eine Freundin?«
    Lore wurde unsicher. »Das ist Marie. Eine Freundin aus München …«
    In der Wohnung roch es verbrannt. Der Geruch kam nicht aus der Küche. Er war überall. Es schien Marie, dass er aus den Wänden kam. Sie konnte kaum atmen. Es war ein
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