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77 Tage

77 Tage

Titel: 77 Tage
Autoren: Lucie Flebbe
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gepflasterten Einfahrt, die im weiten Bogen auf die Garagen zuführte. »Das ist nicht wahr, oder?«
    »Du kannst bis vor die Tür fahren.«
    Danner ließ das Lenkrad los, um mit beiden Händen auf die Villa deuten zu können: »Was ist das? Ein Schloss?«
    »Ich hab das protzige Ding nicht gebaut«, rechtfertigte ich mich.
    »Wie viele Leute wohnen da drin?«
    Ich warf ihm einen bösen Blick zu.
    »Wann zum Teufel wolltest du mir sagen, dass du eine verdammte Millionärin bist?«
    Eine der seltenen Gelegenheiten, Danner fassungslos zu sehen.
    »Falls du ans Erbschleichen denkst, vergiss es. Das kriegt alles mein wohlgeratener Bruder.«
    Zusammen mit zwei Wohnkomplexen zu je achtzehn Mietparteien und den zwanzig Hektar Restland des Gutes, von denen ich Danner bei anderer Gelegenheit noch berichten konnte.
    Die Schrottschüssel holperte über das alte Pflaster. Danner parkte direkt vor den Marmorstufen, die zu der schweren Tür aus dunklem Massivholz hinaufführten. Wie der Eingang des Amtsgerichts. Oder der zur Hölle.
    Meine Füße schienen schwerer zu werden. Als würden sich gusseiserne Fesseln um meine Knöchel legen.
    Danner ließ seinen Blick unterdessen prüfend über die Gartenanlagen wandern. Ein Arbeiter einer Hausmeisterfirma entfernte gerade das Moos von der steinernen, weißen Knabenfigur am Springbrunnen.
    Ich löste die Kappe von der scharfkantigen Metallfeder des Füllers in meiner Jackentasche. Danach drückte ich entschlossen die Klingel.
    Danner legte den Kopf schief, als der vierstimmige Gong hinter der schweren Tür durchs Haus hallte.
    Es dauerte, bis die Tür geöffnet wurde – und noch ein paar Sekunden länger, bis ich die Frau, vor der ich stand, erkannte.
    »Liana!« Erschrocken schlug meine Mutter die Hände vors Gesicht.
    Mit gerunzelter Stirn betrachtete ich ihre faltig gewordenen Wangen, ihr von Grau durchzogenes Haar, die gekrümmte Haltung ihres mageren Körpers. Während ich weg war, war meine Mutter alt geworden. Und geschrumpft. Mein Leben lang hatte ich zu ihr hinaufsehen müssen. Mein Blick wanderte hinunter zu ihren Füßen. Pantoffeln. Es war das erste Mal, seit ich denken konnte, dass meine Mutter keine High Heels trug.
    »Mutter«, begrüßte ich sie erstaunt. »Was ist passiert? Verträgst du das Botox nicht mehr?«
    Meine Mutter zuckte zurück, als hätte ich ihr auf die Puschen gerotzt.
    Ich trat an ihr vorbei in die Eingangshalle.
    »Das ist übrigens mein Freund, Ben«, nutzte ich ihr empörtes Schweigen. »Claudius hat sicher schon viel Gutes über ihn erzählt. Deshalb bin ich Vaters freundlicher Einladung gefolgt. Ben, meine Mutter Dorothea Simanowski-Ziegler.«
    Meine Worte hallten durch den hohen, leeren Raum. Ich checkte kurz die Lage. Alles beim Alten: der Pelzmantel meiner Mutter an der Garderobe, der polierte Boden aus schwarz-weißem Marmor, der sich durch die Halle in den Wohnbereich bis zur Terrassentür zog, rechts vom Eingang die Treppe mit dem geschnitzten Geländer, die nach oben auf die knarrende Empore führte, die auf Höhe der ersten Etage die gesamte Halle und das Wohnzimmer umrahmte wie in einem Theater, der gigantische Kronleuchter, der schwarz glänzende Flügel, der noch immer vor der Terrassentür stand. Ein Schauer lief mir über den Rücken. Schnell wandte ich mich ab.
    Danner nickte meiner Mutter zu. Ihr die Hand zu schütteln, hätte ich auch übertrieben gefunden.
    Mutter schloss die Tür hinter uns. Bezeichnend, dass sie daran dachte. Denn auch wenn ihr Vorgarten das Ausmaß eines Naherholungsgebietes besaß, sollte ja draußen niemand das nun folgende Drama mithören.
    »Liana, kannst du dir nur ansatzweise vorstellen, was ich mir für Sorgen gemacht habe?«, schluchzte sie. Ihr weinerlicher Tonfall machte mich augenblicklich aggressiv.
    »Du verschwindest ohne ein Wort, ohne eine Nachricht. Du hättest tot sein können, Kind!«
    »So leicht wollte ich es euch dann doch nicht machen«, erwiderte ich gereizt.
    Sie atmete erschrocken ein. »Sei doch ein bisschen freundlicher. Du weißt genau, wie wütend es ihn macht, wenn du frech bist.«
    »Versuch nicht, mir zu drohen, Mutter. Wo ist er? Wir haben nicht vor, zum Kaffee zu bleiben.«
    Ich sprach laut, um meine Stimme am Zittern zu hindern.
    »Zeig endlich mal ein bisschen Respekt, Fräulein!« Die Stimme meines Vaters grollte aus dem Wohnzimmer. Es klang, als hätte meine Mutter den Kampfhund weggesperrt.
    Ich fasste fest den harten, kühlen Schaft des Federhalters in meiner Tasche,
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