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77 Tage

77 Tage

Titel: 77 Tage
Autoren: Lucie Flebbe
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kleine Büro von Anna Willms hinübergegangen, wo Danner, Staschek, Elsbeth van Pels und zwei Uniformierte bereits auf uns warteten.
    Hedi steckte ihr Diensthandy zurück in die dafür vorgesehene Halterung, unter das Pappschild mit ihrem Namen. Dann folgte sie den Beamten wortlos hinaus.
    »Frau Sundermann. Ich kann das nicht glauben«, wiederholte Elsbeth van Pels gerade zum siebenunddreißigsten Mal. Ich zählte, um etwas anderes zu tun, als hinter Hedi herzustarren.
    »Frau Sundermann. Ich kann das nicht glauben.«
    Achtunddreißig Mal.
    »Sie hätte weitergemacht, wenn Sie nicht auf die Todesfallzahlen aufmerksam geworden wären«, bestätigte Danner der Pflegedienstchefin die Richtigkeit ihres Handelns.
    Mein Blick hing noch immer an dem Namensschild über dem Handy, auf den Anna Willms in ihrer sauberen Handschrift mit Edding Hedwig Sundermann geschrieben hatte.
    Meine Finger drehten den neuen Füller in meiner Jackentasche.
    Wahnsinn. Weil Hedi sich mit Worten nicht verteidigen konnte, war sie zur Mörderin geworden. Und statt sie zu verurteilen, konnte ich sie verstehen.
    Schließlich hatte ich selbst den Federhalter auch nicht zum Schreiben in der Tasche. Ich plante einen Mord. Weil ich nicht wusste, wie ich mich anders gegen meinen Vater zur Wehr setzen sollte. Zum ersten Mal wagte ich, den Gedanken zu Ende zu denken. Ich war dabei, den gleichen Weg zu gehen wie Hedi.
    Ich starrte auf das Diensthandy unter Hedis Namen, das nie wieder von ihr aus der Halterung herausgenommen werden würde. Anna Willms würde ein sauber beschriftetes Pappschildchen mit dem Namen von Hedis Nachfolgerin anbringen. Womöglich schon Montagmorgen, die Leiharbeit machte es möglich.
    Rasch ließ ich den Füller los.
    Ich wollte nicht wie Hedi enden. So weit durfte mich mein Vater nicht bringen. Es musste einen anderen Weg geben …
    Moment mal!
    Mein Blick war weitergewandert, über drei leere Halterungen zu einem anderen Telefon, das unbenutzt an der Wand hing. Zu dem darüber gehefteten Namen.
    »Ist Anna Willms heute nicht da?«, unterbrach ich das Gespräch von Danner und Elsbeth van Pels und deutete auf das Handy.
    Elsbeth van Pels runzelte tadelnd die Stirn. Wahrscheinlich fand sie mein Dazwischengeplapper ungezogen. »Es ist Samstag.«
    Ach ja.
    »Gestern war sie noch da?«
    »Nein.«
    Ruckartig drehte ich mich zu Elsbeth van Pels um.
    »Sie hat sich krankgemeldet«, erklärte die Geschäftsführerin schulterzuckend.
    Ich fühlte mein Blut in meinem Körper nach unten sacken. Mein Gesicht musste auf einen Schlag erbleichen wie bei der unerwarteten Attacke eines Magen-und-Darm-Infektes.
    »Wegen ihrer Schwangerschaft?«, hakte ich nach und bemühte mich, nicht zu krächzen.
    »Woher wissen Sie das?«
    Ich griff mir an die Stirn.
    »Wieso?«, erkundigte sich Danner, dem meine ungesunde Gesichtsfarbe nicht entgangen war.
    Ich trat einen Schritt näher an das Diensthandy, um sicherzugehen, dass ich die Eddingaufschrift auf dem Pappschild richtig entziffert hatte. Die saubere Handschrift der Teamleiterin ließ keinen Irrtum zu.
    »Hat sie sich persönlich krankgemeldet?« Jetzt krächzte ich doch.
    »Ihr Mann hat angerufen.«
    O Gott.
    ANNABELL WILLMS stand in Großbuchstaben über dem Telefon.
    Tag 69
    BELLAS BLOG:
    MITTWOCH, 19.08 UHR
    Mein Eintrag von gestern war gelogen.
    Ich habe Mario nicht umgebracht. Natürlich nicht.
    Er hat mich am Hals hochgehoben. Das ist wahr. Aber ich habe ihn nicht niedergeschlagen. Die Wasserflasche war erfunden.
    Ich hätte es gern getan. Hätte ich die Flasche in dem Augenblick erreichen können. Ich habe sie auf dem Tisch stehen sehen. Und mir gewünscht, sie in der Hand zu halten. Ich war so wütend!
    Ob ein Mord mit einer Plastikflasche überhaupt möglich ist? Keine Ahnung. Ich kam nicht dran.
    Mario hat mich hochgehoben und dann wieder abgesetzt.
    »Überleg dir gut, ob du dich mit mir anlegen willst.«
    Unsere Ehe ist kaputtgegangen. In diesem Moment.
    Ich habe überlegt, ob Mario das bewusst war. Dass unsere Ehe gerade endete.
    Ich glaube nicht. Ich hab es ihm auch nicht gesagt. Es hatte ja keinen Sinn. Wenn er sich aufregt, hört er nicht zu.
    Ich habe die bewährte Methode angewandt, um den Streit zügig zu beenden. Ich habe getan, als hätte ich Angst, und mich im Badezimmer eingeschlossen. Mir vorgestellt, was wäre, wenn ich Mario wirklich umgebracht hätte.
    Wie konnte er mich so weit bringen? Ich hätte mir selbst solche Gedanken nie zugetraut. Und eine solche Wut. Im Leben nicht.
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