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Titel: 69
Autoren: Ryu Murakami
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Klassenversammlung und das Saubermachen sausen und hoffte, dass Adama mit mir kommen würde.
    »He, Adama. Kennst du Cream?«
    »Creme? Wie Eiscreme?«
    »Nein, du Idiot. Das ist der Name einer britischen Rockband.«
    »Nie gehört.«
    »Junge, du bist voll daneben. Du bist ein hoffnungsloser Fall, Mann.«
    »Ich? Wieso?«
    »Na gut, weißt du zum Beispiel, wer Rimbaud ist?«
    »Was, noch ’ne Gruppe?«
    »Das ist ein Dichter, Dummkopf. Schau. Lies das mal.« Ich zeigte ihm ein Buch mit Rimbauds Gedichten . Pech, dass er nicht »Nein danke« sagte und sich dann abwandte. Er fing an, es zu lesen. Ziemlich laut. Wenn ich daran zurückdenke, merke ich, dass das ein Wendepunkt in Adamas Leben war.

Ich habe es gefunden
    Was?
    Ewigkeit
    Die Verbindung von Sonne und Meer
    Dreißig Minuten später standen wir vor dem Gibbon-Käfig im Naturpark, weit weg von der Schule und der Routine, die auf die Prüfungen folgte, inklusive des Mittagessens, und wir hatten Hunger. Der Bergarbeiterort, aus dem Adama kam, war zu weit weg, um jeden Tag hin- und herzupendeln, deshalb wohnte er in einer Pension hier in der Stadt, und die Leute, denen sie gehörte, packten ihm jeden Tag ein Mittagessen ein. Aber ich brachte nie etwas zu essen mit, meine Mutter gab mir immer 150 Yen, damit ich mir irgendwas kaufen konnte. Wer sich über den Betrag wundert, soll mal an die Inflation der letzten fünfzehn Jahre denken. 1969 waren 150 Yen viel Geld. Kinder aus ärmeren Familien als meiner schafften es, mit 50 Yen am Tag nicht zu verhungern - 20 für Milch, 10 für ein süßes Brötchen, 20 für ein Curry-Brötchen.
    Mit 150 Yen konnte ich eine Schale Nudeln, Milch, ein Curry-Brötchen, eine Melonentasche und einen Marmeladen-Donut bekommen. Aber ich nahm immer nur ein Brötchen - keine Milch - und sparte den Rest meines Geldes für Bücher von Sartre, Genet, Celine, Camus, Ba-taille, Anatole France und Kenzaburö Öe. Ach, scheiß drauf. Wofür ich die Kohle wirklich brauchte, das waren die Kneipen und Discos, wo ich willige Hühner von der Junwa-Mädchen-Oberschule aufreißen konnte, einer Schule mit einer Scharfe-Bräute-Quote von über zwanzig Prozent.
    In unserer Stadt gab es zwei weiterführende Bezirks-Oberschulen, die Nördliche und die Südliche, eine Be-zirks-Oberschule für Technik, eine städtische Handelsschule, drei private Mädchen-Oberschulen und eine private gemischte Oberschule. In kleinen Städten wie unserer gingen nur richtige Nieten auf private gemischte Schulen.
    Meine eigene Schule, die Nördliche Oberschule, war bekannt für die besten Universitätszulassungs -Ergebnisse, die Südliche war Zweite, die Technische Oberschule hatte ein gutes Baseball-Team, auf die Handelsschule gingen lauter Ferkel, die Junwa, eine private katholische Oberschule mit Uniformpflicht, hatte aus irgendeinem Grund eine hohe Quote scharfer Bräute. Jeder wusste, dass es eine Zeit lang bei den Mädchen von Yamate, einer anderen privaten Mädchenschule, ein beliebter Sport war, mit Radioröhren zu masturbieren, und dass viele der Röhren explodierten und sie fürs Leben zeichneten. Die Mädchen von der Koka-Schule waren so düster und ernst, dass sie kaum einmal auch nur Thema eines Gesprächs wurden, und man behauptete, dass es immer klapperte, wenn die Kids von Asahi, der privaten gemischten Oberschule, den Kopf schüttelten.
    Ansehen bestand für einen Schüler der Nördlichen darin, ein Mitglied des English Drama Clubs als Freundin, eine von den Uniformierten von Junwa als Geliebte und eine in Straßenkleidern als Konkubine zu haben, eine von Yamate dazu gebracht zu haben, einem ihre Narben zu zeigen, und Mädels von Koka und Asahi zu kennen, die einen aushielten. Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass, Ansehen hin oder her, das Hauptproblem darin bestand, eine zu finden, der man überhaupt möglichst schnell an die Wäsche gehen konnte. Und das war auch der Grund, warum ich trotz der fürstlichen Summe von 150 Yen mit einem Curry-Brötchen auskommen musste. »He Mann, ich glaube, ich sollte was essen.« Wir standen immer noch vor dem Gibbon-Käfig, und meine Augen klebten an Adamas Fresspaket, während ich das sagte.
    »Ich werd’ mein Mittagessen mit dir teilen. Lass uns zusammen essen.«
    Adama öffnete seine kleine Schachtel, stellte die Hälfte ihres mageren Inhalts auf den Deckel und schob ihn zu mir rüber. Adama hatte die Buskarte zum Tierpark für uns beide bezahlt, und wenn er nicht mitgekommen wäre, würde er jetzt Putzdienst haben
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