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Titel: 69
Autoren: Ryu Murakami
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und die Fenster putzen, der ernsthafte Kerl, der er war. Ich hätte ein ziemlich schlechtes Gewissen gehabt, wenn er die Hälfte seines Mittagessens meinetwegen abgegeben hätte, also lehnte ich dankend ab. Zur Hölle. Ich nahm meinen Teil und schlang ihn in drei Minuten runter und wunderte mich, warum er mir nur eine von seinen drei Teigtaschen mit Fischpaste gegeben hatte, war von seiner Knausrigkeit angewidert und dachte verärgert darüber nach, dass seine Zukunft wohl eher im Geldverleih als in der Medizin lag.
    Wie ein Paar bei einem Picknick bei seiner ersten Verabredung hatten wir nach dem Essen nichts zu tun. Gibbons können einem ziemlich auf die Nerven gehen, wenn man sich langweilt. Wenn unsere Bäuche voll gewesen wären, dann hätten wir vielleicht ein Nickerchen gemacht, aber mit der Hälfte eines Pensions-Fresspakets - vergiss es.
    Da uns kaum etwas anderes übrig blieb, fingen wir an, ein bisschen zu quatschen.
    »Ken-yan, auf welche Hochschule willst du eigentlich gehen?«
    »Nenn mich nicht Ken-yan, klar? Nur Ken. Ich mag es nicht, wenn man mich Ken-yan nennt.«
    »Du willst Medizin machen, nicht? Das sagst du schon seit dem zweiten Schuljahr, oder?«
    Ich war an meiner Schule für vier Sachen berühmt. Die erste war, dass ich im zweiten Jahr auf der Oberschule dreihunderteinundzwanzigster von ungefähr zwanzigtausend Leuten wurde, die hofften, auf eine medizinische Hochschule gehen zu dürfen. Die zweite war, dass ich Schlagzeuger in einer Band war, die Titel von den Beatles, Rolling Stones, den Walker Brothers, Procul Harum, den Monkees und Paul Revere and The Raiders in ihrem Repertoire hatte. Die dritte war, dass ich im Zeitungs-Club war und dreimal Ausgaben ohne die Erlaubnis des zuständigen Lehrers herausgebracht hatte, woraufhin die dann verboten und konfisziert wurden. Die vierte war, dass ich im letzten Semester meines zweiten Schuljahres versucht hatte, bei der Abgänger-Party ein Stück über die Kampagne einer radikalen Studentengruppe gegen den Besuch eines mit Atomsprengköpfen beladenen amerikanischen Flugzeugträgers aufzuführen, was die Lehrer natürlich nicht erlaubten. Man nahm allgemein an, dass ich durchgeknallt sei.
    »Nein, ich studier’ nicht Medizin. Die nehmen mich sowieso nicht.«
    »Was dann? Literatur, schätze ich, hm?«
    »Bloß nicht.«
    »Nein? Warum liest du dann Gedichte und so ’n Zeug?« Ich konnte ihm nicht erzählen, dass mir das helfen sollte, Frauen zu verführen. Adama war im Grunde seines Herzens ein Hardboy. Hardboys versuchten sich nicht daran, Frauen aufzureißen.
    »Ich mag Gedichte nicht wirklich. Aber Rimbaud ist was anderes. Jeder kennt Rimbaud, Mann.«
    »Wirklich?«
    »Rimbaud hatte großen Einfluss auf Godard. Wusstest du das nicht?«
    »Ah, Godard. Ich weiß, wer das ist. Ich habe in Geschichte was über ihn gelernt.«
    »Geschichte?«
    »Er war ein Dichter aus Indien, nicht wahr?«
    »Das ist Tagore, du Trottel. Godard ist ein Filmregisseur.«
    Ich hielt ihm einen Zehn-Minuten-Vortrag über Godard. Wie er, an der Spitze der Nouvelle Vague, einen herausragenden Film nach dem anderen drehte, wie hervorragend die letzte Szene in Außer Atem war, über die bedeutungslosen Tode in Maskulin-Feminin und über die subversiven Schneidetechniken in Weekend. Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass ich nicht einen einzigen Film von dem Mann gesehen hatte. Godard schaffte es nicht unbedingt bis in die Kleinstädte von Kyushu.
    »Literatur, Romane, wenn du mich fragst, ist dieses Zeug erledigt, tot.«
    »Dann sind’s jetzt Filme, hm?«
    »Nein, Filme sind genauso erledigt.«
    »Ja also, was dann?«
    » Festivals . Wo es Theater, Musik und Film gleichzeitig gibt. Verstehst du, was ich meine?«
    »Nein.«
    Ja, das war es, was ich machen wollte, ein Festival veranstalten. Fesutibaru. Allein das Wort war schon aufregend. Man konnte sich alle Arten von Unterhaltung dafür vorstellen. Wir würden Stücke und Filme und Live-Rockmusik haben, und alle möglichen Leute würden kommen. Die Mädels von Junwa würden in Scharen kommen. Ich würde Schlagzeug spielen, einen Film zeigen, bei dem ich Regie geführt hatte, und die Hauptrolle in einem Stück spielen, das ich geschrieben hatte. Junwa würde da sein, der English Drama Club der Nördlichen Oberschule würde da sein, die Radioröhren würden da sein, die Klapperköpfe würden da sein, und die ernsthaften Mädchen von Koka würden massenhaft da sein und mich mit Blumen und Geld bewerfen.
    »Ich habe
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