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617 Grad Celsius

Titel: 617 Grad Celsius
Autoren: Horst Eckert
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so. Er wurde verführt. Ich hätte mit ihm in den Puff gehen sollen, als er sechzehn war. Dann wäre alles nicht passiert. Oder meinst du, ich hätte meinem Sohn die Abartigkeit mit den Genen vererbt? Dann wäre ich ja selbst ein Homo. Ich bin’s aber nicht.«
    »Karin befürchtete, dass Odenthal womöglich gar nicht der Mörder ist.«
    »Absurd!«
    »Habt ihr tatsächlich nicht darüber geredet?«
    »Wir waren beide fix und fertig. Ehrlich gesagt, herrschte Funkstille bei uns zu Hause. Karin hat mir vorgehalten, dass Daniel noch am Leben wäre, wenn ich ihn nicht aus dem Haus geworfen hätte.« Michael hustete, dann fing er sich wieder und fragte: »Die Vorstellung ist doch abwegig, Anna, oder? Ich bin doch nicht schuld an Daniels Tod!«
    »Natürlich nicht.«
    »Karin hat in der letzten Zeit sogar ihr Geschäft vernachlässigt. Sämtliche Anfragen hat sie abgewimmelt. Stattdessen setzte sie sich in ihren Polo und gondelte ziellos durch die Gegend. Zumindest hat sie das behauptet.«
    Anna erkannte, dass Lohse ihr nicht helfen konnte. Und sie nicht ihm. Der Gedanke an den Brief ließ sie nicht los: Ruf mich so bald wie möglich an. Ich habe Angst, etwas ganz Dummes zu tun .
    Michael murmelte leise: »Sag mir, Anna, gibt es überhaupt noch einen Gott? Gibt es Gerechtigkeit? Oder werden wir nur sinnlos herumgeschubst?«
    Der Mann tat ihr leid. Odenthal hatte eine ganze Familie auf dem Gewissen.
    Anna war froh, dass sie letztlich das entscheidende Indiz hatte beisteuern können, das zur Verurteilung des Mörders geführt hatte.
    Wenigstens das war ihr gelungen.

6.
    November 2003
    Das Haus, das zu Essigs Adresse gehörte, entpuppte sich als gepflegter Altbau mit einer Fassade voller Simse und Stuckverzierungen. Anna tat, als studiere sie die Auslagen im Schaufenster eines Ladens im Nachbarhaus. Sie musste nicht lange warten.
    Eine Frau im dunklen Kostüm trat aus der Tür. Sie machte einen gehetzten Eindruck und eilte auf die Kreuzung zu, wo ein Taxi stoppte, das sie offenbar bestellt hatte.
    Bevor die Haustür ins Schloss fiel, eilte Anna darauf zu und schlüpfte ins Haus.
    Die Wohnung, die Kurt Essig und Clemens Odenthal sich teilten, lag im Erdgeschoss. Obwohl Anna vermutete, dass Essig in diesem Moment noch im Gericht an der Mühlenstraße war, presste sie vorsichtshalber das Ohr an die Tür und lauschte.
    Dann kramte sie das kleine Gerät aus der Tasche. Bruno Wegmann kannte sich mit Einbruchswerkzeug aus. Der Kollege hatte in seiner Jugend einem Verein angehört, einer Art Hacker-Gruppe, die sich aus dem Knacken von Schlössern einen Sport gemacht hatte, bei dem es darauf ankam, keine Spuren zu verursachen. Wegmann gab gern damit an und hatte ihr einmal seine Lock-Picking Tools gezeigt, so genannte Spanner und Stifte, mit denen man die Federn im Inneren eines Türschlosses bewegen konnte. Anna hatte sich für die batteriebetriebene Ausgabe entschieden, als sie Wegmanns Schreibtisch nach einem brauchbaren Sesam-öffne-dich durchwühlt hatte.
    Sie setzte das Teil an. Es brummte ohne erkennbare Wirkung. Anna stocherte und drückte, doch das Klack , mit dem das Schloss aufspringen sollte, blieb aus.
    Ein Poltern auf der Holztreppe über ihr ließ sie innehalten – schwere Schritte, die nach unten trabten.
    Anna verzog sich hinter die Kellertür und duckte sich in den Schatten.
    Sie bemerkte die Mülltonnen und ihr kam der Gedanke, dass der Hausbewohner vielleicht gerade seinen Abfall herunterbrachte. Mit schnellen Schritten huschte sie hinaus auf den Hof.
    Heftig atmend lehnte sie sich gegen die Hauswand. Bleib ruhig, sagte sich Anna, er hat dich nicht bemerkt. Sie blickte sich um. Fleckiger Rasen, ein Beet und ein Geräteschuppen. Ein Reifen hing vom Ast eines Baums als Schaukel für Kinder.
    Rundherum vierstöckige Häuser – Anna stand wie auf dem Präsentierteller. Fieberhaft musterte sie die Umgebung. Ein offenes Fenster zu ihrer Rechten war der Ausweg. Sie steckte Wegmanns Werkzeug in die Tasche.
    Anna stemmte sich hoch und kletterte in die Wohnung des Mörders, dabei hoffend, dass in diesem Moment niemand in den Hof schaute.
    Sie landete in der Abstellkammer. Regale im Dämmerlicht, eine antik wirkende Nähmaschine, ein Karton voller Äpfel. Anna lauschte, dann betrat sie den Flur.
    Der plötzliche Anblick einer hageren Gestalt jagte ihr einen Schrecken ein, doch es war nur ihr eigenes Spiegelbild, die Haare zerzaust, die Wangen gerötet.
    Anna streifte Latexhandschuhe über, um keine weiteren Spuren zu
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