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Sozialisation: Weiblich - männlich?

Titel: Sozialisation: Weiblich - männlich?
Autoren: Carol Hagemann-White
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Vorbemerkung der Sachverständigenkommission
    Alltag und Biografie von Mädchen sind vielfältig und reichhaltig an gesellschaftlichen Erfahrungen und Widersprüchen; nur ist viel zu wenig davon bekannt. Die vorliegende Reihe veranschaulicht diesen Alltag, liefert Daten, analysiert den gesellschaftlichen Kontext und macht hierüber die Besonderheiten weiblicher Existenz deutlich. Sie stellt den Lebenszusammenhang von Mädchen in den Mittelpunkt, um von hier aus eine angemessene Sichtweise der Probleme und neue Perspektiven für Mädchen und Frauen zu entwickeln.
    in Forschung und wissenschaftlicher Literatur über Kinder- und Jugendfragen kommen Mädchen wenig vor, da durchwegs ohne Unterscheidung über die Lebenskonzepte, die Berufsorientierung, Ausbildungs-, Schul- oder Freizeitprobleme, Familiensituation und Konfliktlagen „der Jugendlichen“ oder der „Kinder“ nachgedacht wird. Schon bei erstem Hinsehen zeigt sich: Es wird praktisch nur von Jungen berichtet – Mädchen erscheinen subsumiert bzw. allenfalls als eine (defizitäre) Untergruppe des „Normalfalls“ der männlichen Jugendlichen. So bleiben die durch die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in der Gesellschaft bedingten Merkmale ihrer Lebenssituation unsichtbar: die Interessen und Denkweisen von Mädchen, ihre Stärken und die ihnen zugemuteten Benachteiligungen, ihre Probleme sind kein Thema. Es geht um „Schüler“, „Arbeiterjugendliche“, die „Alternativszene“ – aber nicht um Schülerinnen, Arbeitermädchen, Mädchen in Alternativbewegungen.
    Das Spektrum dieser Reihe umfaßt unter anderem: die Sichtweise des „weiblichen Sozialcharakters“ in den Sozialisationstheorien; Mutter/Tochter und Vater/Tochter-Beziehungen in der Familie, den Sexismus in der Schule, im Kindergarten, in der Beratungspraxis und in Heimen, die Weiblichkeitsbilder in den Medien; Untersuchungen zur Lebenssituation von Mädchen ohne Ausbildung, von behinderten Mädchen und Mädchen auf dem Lande; sexuelle Gewalt gegen Mädchen ist ebenso Thema wie die Diskriminierung von Mädchen im geltenden Recht; Alternativen der Mädchenarbeit werden aufgezeigt sowie theoretische und praktische Ansätze einer kulturpolitischen Bildung für Mädchen und Frauen.
    Die Arbeiten sind als Expertisen zum 6. Jugendbericht entstanden, der das Thema „Verbesserung der Chanchengleichheit von Mädchen“ zum Gegenstand hat. Ihre Veröffentlichung in dieser Reihe wurde finanziell vom Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit gefördert. Die Expertisen waren eine der Grundlagen für die Sachverständigenkommission, die zu Beginn ihrer Arbeit die erheblichen Informations- und Forschungslücken auf allen Gebieten feststellen mußte. Um sie zu schließen, wurden Wissenschaftler/innen und Praktiker/innen mit den oben genannten Themen beauftragt.
    Der vorliegende Band „Sozialisation: Weiblich-männlich?“ von Carol Hagemann-White bietet eine kritische Bestandsaufnahme zur Forschung über Geschlechtsunterschiede im Verhalten und in den Fähigkeiten von Mädchen und Jungen. Gezeigt wird, daß die Forschungsergebnisse Annahmen über biologische/physiologische Ursachen für Geschlechtsunterschiede nicht belegen können. Ebensowenig kann die Annahme „anerzogener“, d. h. durch geschlechtsspezifische Erziehung bedingter Sozialcharaktere von Mädchen und Jungen als bestätigt gelten. Wohl aber entwickeln Kinder ein Bewußtsein der ihnen vermittelten Nonnen und Erwartungen, nach denen es einen Unterschied macht, ob eine Frau oder ein Mann „dasselbe“ tun. Mädchen und Jungen haben also ein Verhaltensrepertoire, das sich weitgehend überschneidet – im Alltag wird jedoch hiervon ein bestimmter Teil – verschieden nach Geschlecht abgerufen, bzw. zur Kenntnis genommen, sodaß sich ein „geschlechtstypisches Verhalten“ durchzusetzen scheint.
     

I. Sind geschlechtsspezifisch unterschiedliche Charaktere empirisch nachweisbar?
     

1. Zur Geschichte der Erforschung von Geschlechtsunterschieden
    Die Bemühung, Unterschiede zwischen den Geschlechtern nachzuweisen, begleitet die Psychologie seit ihren Anfängen. Markieren wir die Abnabelung der Psychologie von der Philosophie mit der Gründung psychologischer Laboratorien durch Wilhelm Wundt in Leipzig und durch William James an der Havard-Universität, beides im Jahre 1895, so finden wir schon im ersten Jahrzehnt einen großangelegten Versuch, durch Messungen an fast 10.000 Besuchern der International Health Exhibition die
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