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617 Grad Celsius

Titel: 617 Grad Celsius
Autoren: Horst Eckert
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als du, Anna. Es ist normal, dass dir ein Fall zu schaffen macht. So geht es jedem von uns. Und zwar immer wieder. Du darfst dir bloß nichts anmerken lassen. Abgesehen davon gefällt mir, wie du deine Arbeit machst.«
    »Wirklich? Womöglich kommt Odenthal frei.«
    »Da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Und schlag dir Bosnien aus dem Kopf. Ich brauche dich, verstehst du?«
    »Gibst du mir eine ehrliche Antwort?«
    Bach sah Anna mit kaltem Blick in die Augen. »Okay.«
    »Hat sich jemand eingemischt, damit ich den Job beim KK 11 bekam?«
    »Die Staatskanzlei jedenfalls nicht.«
    Anna spürte, dass sie rot anlief. »Und mein Vater?«
    »Du weißt, dass er einen guten Draht zu Kriminalrat Engel hat. Und wenn du eine Tochter hättest, würdest du dich ebenfalls für sie stark machen.« Ela berührte Annas Arm. »Aber entscheidend war nicht der Anruf des Expolizisten Bernd Winkler, sondern dass ich dich in unserer Truppe haben wollte.«
    Anna rang sich ein Lächeln ab.
    Ihre Chefin blickte auf die Uhr, murmelte einen Abschiedsgruß und verschwand ins Treppenhaus. Ihre Schritte hallten nach, bis sich die Glastür schloss.
    Anna kehrte zu den Rentnern zurück, die auf den harten Holzbänken palaverten oder in Zeitungen schmökerten, um die Pause zu überbrücken. Über ihnen hing ein riesiges Triptychon, das in christlicher Allegorie Sünder, Jüngstes Gericht und Hölle darstellte – wie fast immer auf solchen Darstellungen fand Anna die dritte Abteilung am interessantesten.
    Am Ende des Gangs unterhielt sich Thilo Becker mit dem KK-11-Kollegen Bruno Wegmann, der ebenfalls die Verhandlung verfolgte. Anna gesellte sich zu ihnen.
    »Hallo, Luna«, knurrte Becker. Er knetete das Ende seiner gestreiften Krawatte, die Anna nur an ihm sah, wenn er einen Gerichtstermin wahrnahm. »Das schöne Geständnis können wir in der Pfeife rauchen, nachdem unsere Tatortspezialistin ihre eigenen Indizien für fragwürdig erklärt hat.«
    »Tut mir leid«, antwortete Anna.
    »Du konntest nicht anders«, besänftigte Wegmann.
    Anna tröstete das nicht. Becker fragte schnippisch: »Kann dein Onkel denn nicht mal mit dem Richter essen gehen?«
    Schritte kamen näher, Anna hörte eine vertraute Stimme. Ihr Vater grüßte sie, gab Thilo und Bruno die Hand und fragte: »Wie isses?«
    Anna zuckte mit den Schultern. »Unentschieden.«
    »Weniger als das«, entgegnete ihr blonder Kollege.
    Bernd Winkler versuchte zu beruhigen: »Heute ist auch noch Karin Lohse dran. Sie wird bestätigen, dass Daniel von Odenthal massiv bedroht worden ist.«
    »In den Augen des Gerichts wird das nichts beweisen«, beharrte Becker. »Und wenn der Lehrer bei seinem Alibi für Odenthal bleibt, können wir endgültig einpacken.«
    Dabei nickte der Blonde in Richtung eines ordentlich gescheitelten Mannes in blauer Jeans und beigefarbenem Pullover, der wie alle anderen auf die Fortsetzung der Verhandlung wartete. Anna fielen buschige Augenbrauen und eine blasse Narbe am Kinn auf.
    Der Mann hieß Kurt Essig und war der Mitbewohner des Angeklagten sowie Zeuge im Prozess. Von ihm stammte das Alibi. Gemeinsames Fernsehen zur Tatzeit – fantasieloser ging es nicht.
    Plötzlich erinnerte sich Anna an eine Bemerkung, die Odenthal in einer der Vernehmungen über seinen Kumpel Essig gemacht hatte. Sie hatte sich die Bänder angehört, zum Teil sogar mehrfach.
    Anna wurde klar, dass es einen Ausweg gab.

5.
    Mai 2005
    Als Anna erwachte, zeigte die Armbanduhr elf Uhr dreißig. Selten hatte sie in Bosnien so lange schlafen können. Sie setzte sich auf.
    Im Kühlschrank lagen vergammelte Lebensmittel, die Verfallsdaten waren abgelaufen. Anna mistete aus. Schließlich bestand ihr Frühstück aus Knäckebrot und Erdbeermarmelade.
    Danach versuchte sie, Michael Lohse anzurufen. Er wohnte in der Edelweißstraße nahe der Bahnlinie, die den Ortsteil Holzbüttgen vom Zentrum der Kleinstadt Kaarst trennte.
    Das Freizeichen tutete. Wieder dachte Anna darüber nach, dass sie Michaels Frau im Stich gelassen hatte. Zumindest musste Karin das so empfunden haben. Anna hoffte auf ein Wort von Michael, das ihr die Schuldgefühle nehmen würde.
    Doch er hob nicht ab.
    Anna brachte den Müll zur Tonne und kaufte im Rewe-Supermarkt an der Königstraße ein. Die Frau hinter der Theke des Backshops erkannte sie. »Sind Sie nicht Bernd Winklers Tochter? Wohnen Sie jetzt wieder in Holzbüttgen?«
    »Vorübergehend.«
    Als Anna heimkehrte, drückte sie die Wahlwiederholung.
    Michael war noch immer
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