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617 Grad Celsius

Titel: 617 Grad Celsius
Autoren: Horst Eckert
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Vorwurf, dass die Aussage, mit der sich der Angeklagte belastet hat, unter Androhung oder Anwendung von Gewalt zu Stande gekommen ist?«
    »Das ist nicht richtig.«
    »Herr Odenthal hat uns erklärt, man habe ihm eine Tüte über den Kopf gestülpt und ihn geschlagen. Sie hätten ihm angedroht, ihn umzubringen und es wie Selbstmord aussehen zu lassen.«
    »Die Aufzeichnung der Vernehmung beweist, dass alles korrekt zuging.«
    »Die Bänder sind offenbar unvollständig!«, rief Odenthals Verteidiger dazwischen.
    Der Vorsitzende rügte den Anwalt und forderte Becker auf, mit seiner Schilderung des Ablaufs fortzufahren.
    Anna ging durch den Kopf, wie erleichtert am nächsten Morgen jeder in der Mordkommission gewesen war. Odenthal hatte Details genannt, die nur der Täter kennen konnte. Seine Schuhspuren waren in Daniels Wohnung festgestellt worden und an Odenthals Kleidung hatte die Kriminaltechnik Blutpartikel entdeckt, die nachweislich vom Opfer stammten.
    Becker erklärte: »Der Angeklagte hat in meinem Beisein das Protokoll Wort für Wort durchgelesen, bevor er es unterschrieb. Er hat es aus freien Stücken getan und in voller Kenntnis dessen, was es bedeutet. Der Widerruf ändert nichts an der Richtigkeit des Geständnisses.«
    Der Richter bedankte sich, aber Anna glaubte ihm ansehen zu können, dass er Beckers Überzeugung nicht teilte.
    Jetzt war Odenthals Verteidiger an der Reihe. Der Anwalt setzte seine Lesebrille auf, blätterte in den Unterlagen und neigte sich vor zum Saalmikrofon.
    »Ihre Kollegin, Kriminaloberkommissarin Anna-Luna Winkler, hat uns gestern erklärt, dass das Spurenbild am Tatort und an den asservierten Kleidungsstücken meines Mandanten auch dadurch erklärlich ist, dass Herr Odenthal, wie er es hier dargelegt hat, Stunden nach der schrecklichen Tat die Wohnung des Opfers betrat, den Toten entdeckte und dabei anfasste. Stimmen Sie dem zu?«
    Anna spürte, wie ihr das Blut in den Kopf schoss.
    Der Kollege zögerte.
    »Stimmen Sie Ihrer Kollegin zu oder nicht?«
    Becker räusperte sich und senkte die Stimme: »Ja.«
    »Etwas lauter bitte, damit das Gericht Sie versteht.«
    »Wir sind nicht schwerhörig«, warf der Vorsitzende Richter ein. »Fahren Sie fort.«
    Der Anwalt blätterte wieder. »Das Mordopfer war der Sohn eines Kollegen von Ihnen und ist zudem auf eine besonders brutale Weise getötet worden. Da liegt es vielleicht nahe, dass man einen starken Eifer entwickelt und sich bereits beim ersten Verdächtigen an die Vorstellung klammert: Der muss es gewesen sein. Dass man gewissermaßen blind wird anderen Möglichkeiten gegenüber.«
    Becker wandte sich an den Richter. »Soll ich das als eine Frage auffassen?«
    »Bitte.«
    »Dann muss ich verneinen. Bis zum Zeitpunkt des Geständnisses galt für mich wie für jeden Beamten der Mordkommission die Unschuldsvermutung in Bezug auf Herrn Odenthal. Gerade weil es um den Sohn eines Polizeibeamten geht, haben wir mit besonderer Sorgfalt gearbeitet.«
    Anna fand, dass sich der Blondschopf passabel aus der Affäre zog.
    »Keine weiteren Fragen«, sagte der Anwalt und schien trotzdem zufrieden zu sein.
    »Sie auch nicht?«, wollte der Vorsitzende von den Beisitzern und Schöffen wissen. »Nein? Dann geht es um 10.15 Uhr weiter mit der Vernehmung durch den Staatsanwalt.«
    Auf dem Gerichtsflur traf Anna ihre Chefin. Kriminalhauptkommissarin Ela Bach zog sie bis hinter die Glastür ins Treppenhaus und fuhr sie an: »Stimmt es, dass du dich für einen Einsatz in Bosnien melden willst?«
    »Warum nicht? Es wäre doch nur für ein Jahr.«
    »Was willst du dort? Wieso hast du nicht mit mir geredet?«
    »Ich bin zu dir gekommen. Erinnerst du dich nicht?«
    »Wegen dem dummen Geschwätz?«
    »Überall wird behauptet, ich würde meinen Posten im KK 11 irgendwelchen Anrufen meines Onkels verdanken. Das stinkt mir allmählich. In Bosnien wird das anders sein.«
    »Sei nicht so dünnhäutig, Anna.«
    »Danke. Das ist auch nur so ein Spruch, der mir nicht weiterhilft.«
    »Du hast dich doch sonst nicht um das Geschwätz gekümmert. In Wirklichkeit ist es der Mord an dem Lohse-Jungen, stimmt’s?«
    »Ja, das auch. Vielleicht brauche ich ein wenig Abstand.«
    »Unsinn. Da musst du durch. Die Welt ist nun mal ein gewalttätiges Pflaster. In Bosnien noch mehr als hier.«
    »Aber dort geht es mich nichts an.«
    »Was meinst du damit?«
    »Vielleicht bin ich nicht so robust veranlagt wie du.«
    »Soll ich dir ein Geheimnis verraten? Ich bin kein bisschen robuster
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