Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
289 - Circus des Schreckens

289 - Circus des Schreckens

Titel: 289 - Circus des Schreckens
Autoren: Jana Paradigi
Vom Netzwerk:
anderen Erkrankten doch schon so oft in den letzten Wochen gesehen hatte.
    Sie war infiziert, und das hieß im besten Fall noch ein Jahr zu leben, bis sie qualvoll ersticken würde. Und es gab nichts, was sie dagegen unternehmen konnten, nichts, was die Krankheit aufhalten oder heilen konnte.
    Elinja schluckte. So schnell würde ihre Zeit also ablaufen? Sie wollte stark sein, dennoch füllten sich ihre Augenwinkel mit Tränen, während Baran sie hielt.
    »Nimm mich zur Frau«, flüsterte sie, als ihre Blicke sich trafen. »Heirate mich und schenk uns ein Kind, das unser Erbe weitertragen wird.«
    ***
    Zirkus der Hoffnung, Februar 2527
    Das Geräusch der Knochensäge riss den dumpfen Vorhang entzwei, der sich vor Matts Wahrnehmung gesenkt hatte, und ließ das metallene Kreischen jetzt klar und schrill vor den im Hintergrund johlenden Zuschauern an sein Ohr dringen. Die Liege wurde mit einem Ruck in die Schräge gekippt, der Spot allein auf ihn gerichtet, als Khalil Vahidi die Säge mit einem sadistischen Grinsen auf den Lippen langsam und genüsslich auf ihn hinabsenkte.
    »Ich habe schon lange keine so junge und gesunde Lunge mehr besessen«, höhnte er dabei. »Sie wird mein Leben wieder um ein paar Jahrzehnte verlängern!«
    »Glaubt ihr wirklich, so etwas wie ihr sollte überhaupt leben?«, versuchte Matt noch ein wenig Zeit zu schinden. »Ihr seid doch nichts weiter als entartete Missgeburten. Der einzige Platz für euch wären die Käfige, in die ihr die Tiere gesteckt habt.«
    Der Direktor knurrte, hielt aber in der Bewegung inne. Eine Sekunde lang dachte Matt, er würde ihn mit aufkochender Wut und ein paar großräumig geführten Armbewegungen in mehrere Stücke zerteilen wollen, doch stattdessen griff sich Vahidi an den Hals und zerrte die Halskrause herunter. Dann spuckte er mehrfach in die Hand, rieb sich über das geschminkte Gesicht und wischte sich die Farbe grob mit dem Jackenzipfel ab.
    »Sieh mich an! Bin ich kein Mensch?«, schrie er mit blubbernder, sich überschlagender Stimme. »Sehe ich nicht wie ein Mensch aus? Habe ich nicht zwei Arme, zwei Beine, Rumpf und Kopf? Habe ich nicht zwei Augen, zwei Ohren, Nase und Mund, so wie ihr?«
    Matt sah ihn an und fühlte sich an die Diskussion mit Aruula über die Guule erinnert. Wie viel Mensch musste jemand sein, um als solcher anerkannt zu werden? Eine Frage, die auch in seiner Zeit, dem einundzwanzigsten Jahrhundert, ein Thema gewesen war, einem Zeitalter wachsender Möglichkeiten in der Prothesen-Herstellung, künstlicher gezüchteter Organe oder gar Mikrochips im Körper, die das Sehen, das Hören und sogar den Herzschlag steuern konnten.
    Aber in seiner Zeit hatte man dafür nicht andere Menschen getötet - zumindest nicht im legalen Bereich.
    »Sag mir ins Gesicht, dass ich kein Mensch bin!«, schrie der Direktor, packte Matt an seinem dünnen Hemdchen und beugte sich zu ihm hinunter, bis sie sich Auge in Auge anstarrten.
    »Ihr alle hier seid zuallererst Verbrecher, wenn ihr anderen das Leben und die Organe stehlt«, erwiderte der Mann aus der Vergangenheit ungerührt. Eine diplomatische Antwort hätte seine Lage wohl kaum verbessert.
    Khalil Vahidi funkelte ihn zornig an und Matt konnte sehen, dass seine noch flach an den Hals angelegten Kiemenklappen leicht zuckten. Wieder musste er daran denken, dass er selbst schon ein Doppelatmer gewesen war, der sich der jeweiligen Umgebung anpassen konnte. Und welchen Schmerz es verursacht hatte, sich immer wieder umzustellen. Wie viel Mensch war er damals gewesen?
    »Vielleicht sollte ich mir dein kluges Köpfchen auch gleich einverleiben«, presste der Fischmann hervor. »Püriert und gekocht schmeckt das sicher gar nicht mal so schlecht.« Er bleckte die Zähne, richtete sich mit einem Ruck auf und ließ die Knochensäge erneut aufheulen. »Im Namen unseres Propheten! Im Namen von Khalil Oghab!«, rief er aus, und seine Worte echoten vielstimmig von den Zuschauerrängen zurück.
    Doch mitten im Satz verstummten die meisten Zirkusleute plötzlich, und einzelne erstaunte Rufe veranlassten Vahidi, ihren Blicken zur Spitze der Zirkuskuppel zu folgen.
    Von dort regnete es bunte Luftballons!
    Matt blinzelte ungläubig gegen das Scheinwerferlicht und der Direktor schien nicht minder überrascht. Was hier geschah, war kein Teil des Rituals.
    Ballon um Ballon sank in langsamen Bahnen in die Manege nieder und Matt meinte etwas an ihren Enden funkeln zu sehen. Doch erst als der erste Luftballon auf dem Boden ankam
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher