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266 - Das Todesschiff

266 - Das Todesschiff

Titel: 266 - Das Todesschiff
Autoren: Ronald M. Hahn
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betastete die verpflasterte Schulterwunde. Ihretwegen hatte er sich mehrere Wochen ausruhen können. Musste er ihr dankbar sein? »Was sagt das Thermometer?«
    »Zwanzig Grad minus«, sagte Friedrichsen. »Wir haben heftigen Schneefall, und windig ist es auch.«
    Hasso schüttelte sich. Draußen wehte der Wind Schnee auf und blies ihn den Menschen ins Gesicht.
    Schatten huschten über die Straße. Sie gingen nach Westen. Die Menschen hatten es eilig. Sehr eilig. Viele zogen Schlitten hinter sich her, andere mühten sich mit Handwagen ab, was im Schnee nicht einfach war. Doch alle schleppten Rucksäcke, Koffer oder kleine Kinder. Genaues konnte er nicht erkennen, denn die Sicht wurde nun immer schlechter.
    Er hatte auch keine Zeit, um näher hinzusehen.
    Hasso packte seine Stiefel und zog sie an. Sein Mantel und sein Helm lagen am Fußende des Bettes auf einem kleinen Tisch.
    Die Stadt brach auf. Bald würde sie leer sein. Dieser Ort war nicht der einzige in diesem kalten Land, der sich komplett auf den Weg nach Westen machte. Seit von Rotarmisten begangene Grausamkeiten an der Zivilbevölkerung Ostpreußens bekannt geworden waren, hatten sich gewaltige Flüchtlingstrecks nach Westen in Bewegung gesetzt. Wer der Roten Armee in die Hände fiel, sagte Herr Goebbels, musste mit Tod, Verschleppung oder Vergewaltigung rechnen. Die Marine hatte in der Ostsee achthundert Kriegs- und Handelsschiffe zusammengezogen. Eineinhalb Millionen Zivilisten und eine halbe Million Wehrmachtssoldaten sollten aus Ostpreußen, Pommern und Kurland nach Dänemark und Schleswig-Holstein evakuiert werden.
    Der Kanonendonner schien aus weiter Ferne zu kommen, doch die Rote Armee war näher, als die Zivilisten ahnten. Und deswegen war Deutsch-Eylau nun auf den Beinen. Alle 14.000 Einwohner - und dazu unzählige ausgebombte Flüchtlinge aus dem Westen, die vor längerer Zeit hier Zuflucht gefunden hatten. Bisher hatte der Ort nur wenig vom Krieg gespürt, doch die russische Offensive vom 12. Januar hatte alles geändert: Panzer, Infanterie und Kampfflugzeuge waren in Ostpreußen eingefallen. Die Verteidiger hatten nur kurze Zeit Widerstand leisten können.
    Hasso und Friedrichsen waren seit zwei Tagen unterwegs nach Westen. Wie lange würden sie noch brauchen, um nach Gotenhafen zu kommen? Der Gedanke an die eisige Winternacht erzeugte keine positiven Gefühle in ihm.
    Es gingen so viele Gerüchte um… Alles sprach von der Blutspur, die die Panzer der Roten Armee hinterließen. Er hatte natürlich auch die schrecklichen Geschichten über den Ort Nemmersdorf gehört, der den Russen schon im vergangenen Jahr in die Hände gefallen war. Die Propaganda hatte von einem Blutbad gesprochen. Konnte man ihr glauben? Hasso traute Goebbels Propagandisten zu, dass sie solche grauenhaften Geschichten nur erfanden, um den Wehrwillen zu stärken. Andererseits… Die Kommissare der Roten waren keine Engel. Die Mehrheit der Preußen schien der Propaganda jedenfalls zu glauben: Niemand hier wollte in die Hände der Russen fallen.
    Hasso selbst glaubte den Nazis nichts mehr. Er hatte ihnen von Anfang an nicht geglaubt. Wie lange war es her, dass der Oberkommandierende der Luftwaffe gesagt hatte, er wolle Meyer heißen, wenn es je einem alliierten Flugzeug gelänge, in den deutschen Luftraum vorzudringen?
    »Ich geh dann schon mal runter«, sagte Friedrichsen.
    »Ja, ja.« Hasso nickte und band seine Stiefel zu. Ich hoffe, sie reißen dir den Arsch auf, Meyer, und erwürgen dich und deine Kumpane mit Klavierdraht. Für euch ist jede Kugel zu schade.
    Hasso verließ das Zimmer. Aus den Nebenräumen drang Gemurmel an seine Ohren: Iwans Panzer standen angeblich schon vor der Stadt. In einer halben Stunde konnten sie hier sein. »Es geht ums nackte Überleben…«
    Das Sirenengeheul wurde lauter. Hasso polterte die Treppe hinunter. In der unteren Etage brannte kein Licht. Stromausfall? In der Gaststube: Hektik. Menschen liefen von hier nach da. Gäste und Personal waren nicht zu unterscheiden. Die Eingangstür flog auf. Dicke Schneeflocken wehten herein. Jemand rief nach den Wirtsleuten. Eine Frauenstimme erwiderte: »Die sind längst weg!« Menschen liefen an der Haustür vorbei. Ältere Männer. Eine schwangere Frau. Eine Horde lachender Halbwüchsiger, die all das wohl für ein tolles Abenteuer hielten. Kinder. Hasso hörte das ängstliche Wiehern von Pferden und das Knarren von Zaumzeug.
    »Friedrichsen?«, rief er. »Sind Sie hier irgendwo?«
    »Ja, Herr
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