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247 - Der Kerker der Pandora

247 - Der Kerker der Pandora

Titel: 247 - Der Kerker der Pandora
Autoren: Mia Zorn
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Menschen, die die Pilzfelder und das schwere Erdbeben damals aus dem Leben gerissen hatten. Nach diesen Worten betrat sie seine Hütte und ließ sich von ihm trösten. Und er begriff, dass erst jetzt, nach der Abreise der Fremden, bei Barah der Schock und die Trauer über die vergangenen Ereignisse zum Ausbruch gekommen waren. Er wickelte sie in eine warme Decke, briet ihr einen Fisch und küsste ihr die Tränen von den Wangen. Sie schliefen eng aneinander geschmiegt. Am nächsten Tag packte Barah ihre Sachen im Ratshaus zusammen und zog bei ihm ein.
    Ja, es war ein Wunder: Sie, eine der drei Stadtführerinnen, und er, der Zähmer der Maelwoorms, waren ein Paar. »Mehr als ein Wunder«, bemerkte er versonnen. Barah lachte und ließ ihn los. Sie rammte ihren Speer mit der gezackten Kupferspitze in die grasbedeckte Erde. Dann lief sie mit kleinen Schritten hinunter zum Strand, wo der riesige Rochen sie inzwischen im seichten Wasser erwartete. Spenza ließ sich auf einer weichen Grassode nieder und beobachtete die beiden.
    Vor einem Monat hatten sie den Rochen hier, abseits der großen Siedlung, am Ufer entdeckt. Halbtot war er von den Fluten des Athis an Land geschwemmt worden. Drei armlange eiserne Harpunen steckten in seiner Brust. Ohne zu zögern, hatte die erfahrene Jägerin sie aus dem Riesenleib des Tieres entfernt. Gemeinsam versorgten sie seine Wunden und verbrachten einen Tag und eine Nacht bei dem gewaltigen, aber friedlichen Wesen. Sie versuchten es zu füttern und gossen Wasser über seine ausgetrocknete blauschwarze Haut. Dann schaffte es das Tier aus eigener Kraft zurück in den Athi.
    Anscheinend hatte es nicht vor, ins Meer zurückzukehren, woher es zweifellos stammte. Der Ozean, dachte der Woormreiter. Er wusste das, weil ihm sein Großvater einst beim Tauchen die Engelsfische, wie er die Rochen nannte, gezeigt hatte. Spenza war damals ein Kind gewesen und die Rochen waren Zwerge gegen dieses Riesenexemplar hier im Fluss. Es musste sich um eine Mutation handeln. Überhaupt kam ihm das Tier weniger wie ein Fisch vor, sondern mehr wie ein fremdartiges Wesen aus einer anderen Welt. Es schien jedes Wort der Menschen zu verstehen.
    Nachdenklich glitt sein Blick über die gewaltigen flügelförmigen Flossen, die sich sanft im Wasser auf und ab bewegten, während Barahs Hand über den flachen Schädel fuhr. Auf jeden Fall genoss der Rochen die Gesellschaft der Menschen. Nun machte sich auch Spenza auf den Weg, das Geschöpf zu begrüßen. Als er durch das seichte Wasser watete, sah er, wie Barah eine Mango aus ihrem geschulterten Beutel zog. Auch eine der ungewöhnlichen Eigenarten des Rochens: Er liebte Früchte. Als er damals, im verletzten Zustand, weder die Pflanzen, noch die Fische des Athis fressen wollte, hatte es Barah mit Obst und Gemüse versucht – und tatsächlich nahm er die Früchte an.
    Jetzt hatte der Woormreiter die beiden erreicht. Er tätschelte den Rochen und strich mit seinen Fingern über die kopfgroße grüne Wölbung auf dessen Stirn. Sie war hart wie Stein und glatt wie ein Kristall. Weder Barah, noch er hatten bislang eine Erklärung für diese merkwürdige Wucherung gefunden.
    »Komm, stemm dich hoch, mein Kleiner«, befahl Spenza mit sanfter Stimme. Wie immer gehorchte der Rochen, und wie immer staunten die beiden Menschen darüber, dass dieses Wesen die Aufforderung verstand. Es bewegte sich ein Stück rückwärts ins tiefere Wasser und hob sich auf den Flossen gute zwei Meter über die Oberfläche, sodass sie seine Unterseite sehen konnten.
    Als sie sich vergewissert hatten, dass auch die letzte der Pfeilwunden nur noch vernarbtes Gewebe war, verabschiedeten sie sich von dem Tier und wateten Hand in Hand zurück ans Ufer. Sie sahen ihre Tsebras oberhalb der Uferböschung friedlich grasen. Aus dem kleinen Laubwald dahinter waren Stimmen und Lachen zu hören. Die Sammler der Enkaaris machten sich an ihr Tagwerk. Auch Barah würde in wenigen Stunden aufbrechen, um mit ihren Jägerinnen im Dschungel Fleischvorräte für die Siedlung zu beschaffen. Und Spenza musste heute mit seinen Maelwoorms den Fang der Fischer zu den Dörfern des Hinterlandes transportieren.
    Nacheinander kletterten sie die Böschung hinauf. Als sie ihre Reittiere erreichten, kündigte sich Unheil an: Ein Beben erschütterte den Boden unter ihren Füßen. Panisch wiehernd, bäumten sich die Tsebras auf und galoppierten davon. Als ob ein Sturm an ihnen zerrte, rauschten und raschelten Baumwipfel und Sträucher.
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