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247 - Der Kerker der Pandora

247 - Der Kerker der Pandora

Titel: 247 - Der Kerker der Pandora
Autoren: Mia Zorn
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Junge, der seine Mutter, die es auch dort bei den Steinriesen nicht länger aushielt, nicht gehen lassen wollte. Gemeinsam mit der Schwester machte sie sich auf den Weg. Zurück in die Wälder, um die Wolfsrotte zu suchen, die ihr einst Familie gewesen war. Rulfan blieb zurück und sollte die beiden nie wieder sehen.
    »Damals habe ich sie nicht verstanden«, seufzte der Albino. »Ich war voller Zorn und Verzweiflung, weil sie mich verlassen hatten. Meinem Vater gegenüber empfand ich eine zeitlang nur Verachtung, weil er sie nicht aufgehalten hatte. Heute sehe ich das Ganze mit anderen Augen. Meine Mutter muss sich wie ein eingesperrtes Tier im Bunker gefühlt haben. Und mein Vater war hin und her gerissen zwischen Pflichtgefühl der Community gegenüber und der Liebe zu Canduly.« Versonnen blickte er zu der Antilopenherde, die gemächlich durch das Savannengras weiterzog. »Vielleicht wollte er auch einfach sein restliches Leben nicht in der Wildnis verbringen«, fügte er nachdenklich hinzu. »Wenn ich ehrlich bin, dann kann auch ich mir nicht vorstellen, im Dschungel alt zu werden. Ich liebe Lay, aber nicht ihr Umfeld.« Jetzt richtete er seinen Blick auf Victorius. »Und ich will nicht, dass sich die Tragödie meiner Familie wiederholt. Verstehst du jetzt?«
    Der Prinz nickte. Ein dicker Kloß saß in seinem Hals. Er verstand seinen Freund besser, als es ihm selbst lieb war. Denn auch er hatte an dem Vermächtnis seiner eigenen Familiengeschichte zu tragen. Und auch er schob eine schon länger anstehende Entscheidung vor sich her. »Ich verstehe«, brachte er mühsam hervor. »Doch wenn du Lay nicht für sich selbst entscheiden lässt, wirst du nicht nur dir, sondern auch ihr das Herz brechen.«
    »Wahrscheinlich hast du recht«, seufzte Rulfan und erhob sich. Mit einem verkniffenen Lächeln legte er Victorius die Hand auf die Schulter. »Ich danke dir fürs Zuhören, mein Freund. Ich brauche ein wenig Zeit für mich. Darum werde ich den Rest des Weges zu Fuß gehen. Ich hoffe, du hast Verständnis dafür.«
    Wieder nickte der schwarze Prinz. Während Rulfan zur Roziere schritt, um seine Sachen zu holen, blickte Victorius ihm aufgewühlt nach. Der Albino würde die richtige Entscheidung fällen, da war er sich sicher. Und er selbst? Seit er Rulfans Geschichte gehört hatte, ging ihm der Name einer Frau nicht mehr aus dem Kopf. Lange hatte er nach ihr suchen lassen. Seit Wochen schon wusste er, wo sie lebte. Sie und das Kind – sein Kind!
    ***
    Nyaroby, Kenyaa
    »Da ist er. Siehst du ihn?« Barah deutete auf eine Stelle im Fluss, einen Speerwurf vom Ufer entfernt. Der Woormreiter Spenza kniff die Augen zusammen. Es war windstill und die Fluten des Athi lagen wie ein goldenes Tuch im Licht der Morgensonne. Jetzt entdeckte auch er die Stelle, an der sich die Oberfläche des Wassers kräuselte. Ein dunkel glänzender Leib tauchte auf. Während er sich dem Ufer näherte, schob er große Wellen vor sich her.
    »Ja, ich sehe ihn«, flüsterte der Woormreiter. Gleichzeitig spürte er, wie Barahs Hand nach der seinen griff und sie heftig drückte.
    »Es ist wie ein Wunder, findest du nicht?« Ihre hellgrünen Augen leuchteten wie Smaragde und die Grübchen neben ihren Mundwinkeln gaben ihrem Gesicht etwas Kindliches.
    »Ja, das ist es«, stimmte Spenza ihr zu. Damit meinte er allerdings weniger die Zutraulichkeit des Rochens, dem sie seit Wochen jeden Morgen einen Besuch abstatteten, sondern vielmehr Barah und die Tatsache, dass sie, die schönste Frau von Nyaroby, ihn als ihren Gefährten gewählt hatte. Seit anderthalb Jahren waren sie nun ein Paar. Spenza erinnerte sich noch genau an jene Nacht, als sie vor seiner Hütte gestanden hatte. Es regnete damals in Strömen und das Wasser perlte von ihrer mahagonifarbenen Haut. Wie ein zerzauster kleiner Vogel sah sie aus, mit ihrer zierlichen Gestalt und den unzähligen Zöpfen, die ihr wie nasse Federn vom Kopf hingen. Und geweint hatte sie, weil der Albino und der Mann aus der Vergangenheit Nyaroby am Mittag verlassen hatten.
    »Wer wird uns nun vor den Pilzwesen beschützen?«, hatte sie mit dünner Stimme gefragt. Sie, die große Jägerin Barah.
    »Es gibt keine Pilzwesen mehr«, erwiderte er irritiert. »Die Felder und das Todesbett wurden zerstört.« Doch sie wiederholte ihre Frage, mindestens ein halbes Dutzend Mal. Irgendwann versicherte er ihr, dass er sie beschützen würde: vor den Pilzen, den wilden Tieren des Dschungels im Hinterland und den Geistern der
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