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244 - Der dunkle Traum

244 - Der dunkle Traum

Titel: 244 - Der dunkle Traum
Autoren: Volker Ferkau
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Daa’mure mit einer Körpermasse von mehr als hundertfünfzig Kilogramm.
    Victorius drückte einen Knopf und der Deckel der Kapsel hob sich mit einem hydraulischen Puffen. Der Prinz blickte mit stolzem Lächeln auf. »Ich habe wirklich alles bedacht. Der Kerker ist absolut ausbruchsicher. Dass die Gefangenen bereits ein knappes Jahr hier einsitzen, ist eigentliche Beweis ge-«
    Der Rest des Wortes wurde ihm von den Lippen gerissen – als ihn unvermittelt ein Tritt von der Seite her traf!
    Aldous hatte der Valvona ein Zeichen gegeben – und das Tier sprang auf Victorius zu und trat mit aller Wucht zu. Der Prinz flog zwei Meter weit, bevor er zu Boden krachte.
    Die Valvona fauchte und wollte nachsetzen, aber Aldous stoppte sie mit einem gebrüllten »HALT!«. Dann wies er auf die offene Kapsel: »HINEIN!«
    Und Rulfan begriff. Begriff es zu spät.
    Nicht er sollte Daa’tan richten! Seine Aufgabe war es allein gewesen, Aldous hierher zu bringen, ins Innere des Kerkers! Der Henker war ein anderer.
    Winda schnellte herum, sprang in die Kapsel und faltete sich so flach zusammen, dass sie hinein passte. Während Victorius noch stöhnend versuchte, wieder auf die Beine zu kommen, drückte Aldous den Knopf, der die Klappe schloss.
    Und während die Kapsel in den Kerker hinüber surrte, bellte der Schamane den letzten Befehl: »TÖTE!«
    ***
    Später, als das Unheil seinen Lauf genommen hatte, fragte sich Rulfan, was er an Aldous’ Stelle getan hätte. Konnte, nein durfte man der Gerechtigkeit den Rücken zudrehen? Aldous war ein zorniger Mann, und er hatte allen Grund dazu.
    Seit unendlichen Zeiten hatte das kleine Volk der in Mwekane ansässigen Merraks ein friedliches und glückliches Leben geführt. Sie waren nicht mehr als achtzig Menschen, die sich vom Ackerbau, von der Jagd und vom Fischfang im nahen Lake Albert ernährten. Aldous war ihr Schamane und Anführer seit mehr als vierzig Jahren, ein Mann, der geachtet wurde und seine Leute mit sicherer Hand führte. Er hatte sich seit früher Kindheit, als er die Kunst des Lesens erlernte, der Bewahrung des Wissens verschrieben.
    Einst hatte der Gründer der Gemeinschaft, ein Mystiker namens Gregorious, in den verschütteten Kellerräumen einer alten Missionsstation eine Bibliothek entdeckt. Diese Bücher, durch den Einsturz luftdicht versiegelt und in erstaunlich gutem Zustand, waren von dem Stamm geborgen worden, und Aldous hatte sie alle studiert. Alles, was die bedruckten Seiten hergaben, verinnerlichte er, sog es regelrecht auf, auch offenkundiges Zauberwissen, wie es die Menschen einst vor Kristofluu praktiziert hatten und das er mit den Überlieferungen der Vorfahren vermischte.
    Mwekane lag nordwestlich des Victoriasees versteckt in einem Tal. So lange man denken konnte, waren die Merraks dort von Feindseligkeiten verschont geblieben. Bis eines Tages schwarze Wolken über den Himmel zogen – erste Sendboten einer nahenden Katastrophe.
    Doch erst einmal erwies sich der nun einsetzende Regen als nützlich: Er bog das reife Korn und verwandelte das ausgedörrte Erdreich in Schlamm. Die Merraks waren dankbar für den Regen und sammelten ihn in Gefäßen. Sonnenstrahlen lösten die schwarzen Wolken auf und die Hitze ließ die Natur dampfen. Eine atemlose Stille legte sich über das Dorf, heiß und stickig.
    Der Regen war zu schnell versiegt, was kein gutes Zeichen war. Düstere Gedanken überkamen den Schamanen, und so zog er sich in die abgelegene Schwitzhütte zurück, um ein Ritual zu vollziehen.
    Er war noch keine fünf Stunden dort, als ihn ein Donnern aus seiner Trance riss. Ein Donnern, das nicht aus den Wolken gekommen war! Benommen taumelte er ins Freie. Efranten brüllten, und fremde Stimmen hallten bis zu den Felsen hinauf. Aldous, fast nackt und trotz der Hitze fröstelnd, kletterte auf einen Felsbrocken. Als er sah, was im Tal geschah, veränderte sich sein Leben.
    Eine wilde Horde überrannte das Dorf, machte alles nieder, was ihr im Weg stand. Auf einem der riesigen Efranten saß ein noch junger Mann. Gestikulierend brüllte er Befehle. Sein schwarzer Brustharnisch schien das Sonnenlicht aufzusaugen. Die Hörner auf seinem Helm wirkten bedrohlich. Sein Umhang war rot wie Blut. Er reckte ein Zepter in die Höhe, lenkte die Tiere ohne Erbarmen. Deren Füße zertrampelten Hütten, zerquetschten Körper.
    Aldous rief die Götter an und dachte nur an seine Familie. An Maldura, seine Frau, an seine beiden Kinder und daran, sie zu retten. So rannte er zum
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