Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
244 - Der dunkle Traum

244 - Der dunkle Traum

Titel: 244 - Der dunkle Traum
Autoren: Volker Ferkau
Vom Netzwerk:
höchsten Punkt empor, wo man durch eine Schleuse ins Innere der Zellen gelangen konnte.
    Sie traten an die Kuppel heran, die nicht gänzlich aus Beton bestand: In Augenhöhe hatte man rundum eine Aussparung für massive Glasfenster freigelassen, meterweise unterbrochen von Stützpfeilern, auf denen der obere Betonring ruhte. In diesem konnte man zahlreiche fingerdicke Öffnungen erkennen – die einen Meter langen Stahlrohre, die für die Luftzirkulation sorgten. Rulfan sah sie nur auf einer Zellenhälfte; Daa’tans Seite vermutlich. Man wollte dem Daa’muren auch hier keine Chance geben, seine Gestaltwandlerkräfte einzusetzen.
    Der Mann aus Salisbury trat an das Glas heran – und entdeckte Daa’tan, der, mit dem Rücken an die Trennwand zwischen beiden Zellen gelehnt, auf dem Boden saß. Der junge Mann hatte den Kopf zwischen die Beine gelegt und schien zu ruhen.
    Hinter der Trennwand, die von schmalen Schlitzen durchbrochen wurde, bewegte sich ein silbriger Schatten hin und her: Grao, der vielleicht letzte Daa’mure auf Erden. Rulfan ging einige Meter nach links und konnte nun beide Einheiten einsehen, ohne dass ein Stützpfeiler dabei störte.
    Es gab nur wenige Gegenstände im Kerker: je ein Tisch auf jeder Seite, ein Stuhl, ein Bett und ein flaches Behältnis für die Abfälle und Ausscheidungen.
    Daa’tan hob den Kopf und starrte zum Fenster. Dann schob er sich an der Wand hoch und reckte den Rücken. Mit langsamen Schritten kam er zielstrebig zum Fenster herüber. Sein Gesicht war nun ganz nahe und Rulfan wich unwillkürlich zurück.
    In Daa’tans Augen loderte ein Feuer des Hasses. Seine Lippen formten nur ein Wort: »Rulfan!«
    Der Albino verzog seine Lippen. Ihm fiel auf, dass er die Zähne bleckte wie ein Lupa, der sich seiner Haut erwehren muss. Daa’tan hob die Hand und zog den Zeigefinger unter seiner Kehle entlang.
    Eine absurde Geste angesichts seiner Hilflosigkeit – aber Rulfan lief trotzdem ein Schauer über den Rücken. Das alles ist doch ein einziger böser Scherz, durchfuhr es ihn. Die Aktion, durch die Kuppelöffnung in Daa’tans Zelle zu steigen, war purer Wahnsinn! Was tat er hier? Warum gebärdete er sich wie ein rachsüchtiges Monster? Und Aldous…
    … Aldous hat das gewusst!
    Was gewusst? Was , bei allen Göttern, konnte der Alte gewusst haben?
    Alles! Verdammt noch mal, alles!
    Die Gedanken in Rulfan tobten; es war, als würde er von innen her zerrissen. Er presste seine Stirn auf das Glas und schloss die Augen.
    Ja, er hatte während seiner Bewusstlosigkeit – oder hatte er nur geschlafen? – tatsächlich Aldous’ Stimme gehört. Sie hatte ihm in seinen Träumen eingeflüstert, er müsse Matts Sohn töten.
    Aber das würde Rulfan nicht tun! Niemals konnte er sich gegen seinen Freund, seinen Blutsbruder stellen!
    Aldous war neben Rulfan getreten und starrte nun ebenfalls durch das Fenster. Der Atem des alten Mannes ging schneller. Rulfan roch seine Ausdünstungen. Von dem Schamanen ging eine fast schon elektrische Energie aus.
    »Da siehst du das Monster, mein Freund«, flüsterte Aldous. »Den Mörder im schwarzen Harnisch mit dem roten Umhang. Den Mann, der über Leichen geht und nun selber sterben wird!«
    Daa’tan grinste breit, fast mitleidig. Er legte seine Handflächen gegen das Glas und schüttelte den Kopf, als habe er die Worte des Alten vernommen.
    Aldous stieß sich vom Fenster ab und wandte sich um. »Ich bin tief beeindruckt von Eurer Ingenieurskunst, Prinz Victorius«, hörte Rulfan ihn sagen. »Diese Transportkapsel – wie funktioniert sie genau? Habt Ihr keine Sorge, der Daa’mure könnte durch die Öffnung entkommen?«
    Die Schmeichelei fiel bei Victorius auf fruchtbaren Boden, währenddessen Rulfan seinen Blick nicht von Daa’tan lösen konnte, noch immer nicht völlig aus seinen Reflektionen erwacht. Der Mann aus Salisbury hörte, wie der Prinz den Mechanismus erklärte.
    »Die Kapsel füllt den Schacht genau zur Hälfte aus«, sagte er. »So bildet sie gewissermaßen einen Pfropfen, der die Öffnung verschließt.« Ein surrendes Geräusch ertönte, als die Kapsel nach außen rollte. »Wir befüllen sie auf dieser Seite, schließen den Schacht und schicken sie hinüber in die Zelle…«
    Rulfan drehte sich wie in Zeitlupe um, Schweiß rann über sein Gesicht, seine Hand lag auf dem Säbelknauf.
    Die Transportkapsel war schmal und flach. Chira hätte vielleicht hineingepasst, aber kein erwachsener Mensch, und erst recht kein über zwei Meter großer
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher