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244 - Der dunkle Traum

244 - Der dunkle Traum

Titel: 244 - Der dunkle Traum
Autoren: Volker Ferkau
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weißt du nicht einmal, wie du dein Ziel erreichen sollst, nicht wahr? Du zweifelst an dir, an mir und an deiner Bestimmung! Aber es gibt immer einen Weg. Willst du wirklich verantworten, dass diese beiden Monster fliehen und aufs Neue morden?«
    »Sie können nicht entfliehen. Der Kerker ist sicher«, stieß Rulfan hervor.
    »Du solltest am besten wissen, dass nichts wirklich sicher ist…«
    Rulfan schluckte.
    »Die Narbe, Rulfan! Erzähle mir von Lays Narbe.«
    Rulfan fuhr zurück. Wie kam Aldous jetzt darauf? Warum stellte er diese Frage? Hier, in dieser Situation? Das war absurd.
    Der Schamane nagelte Rulfan mit seinem Blick fest. »Rede über die Narbe, die dich leiden lässt, unter der du mehr als unter allem anderen leidest, was du je in deinem Leben getan hast. Jeden Tag musst du erneut den Folgen deines Tuns ins Gesicht sehen. Jeden Tag wirst du daran erinnert, wie schnell sich Dinge im Leben ändern können. Heute Feind, morgen Freund, heute Hass, morgen Liebe! Erzähle mir von der Narbe!«
    »Woher kennst du die Geschichte? Lay hat sie dir erzählt…?«
    »Ich will sie von dir hören, Rulfan. Wie kam es dazu?«
    »Ein Zufall? Schicksal? Ich weiß es nicht! Als ich sie das erste Mal traf, war Lay mein Feind, und ich habe sie schwer verletzt…« Er erinnerte sich an die Reise von der Küste zum Victoriasee, als Matt und er auf eine Rotte Zilverbaks getroffen waren und kämpfen mussten. Und er erinnerte sich an die kleine Insel im Fluss, auf der er Lay als Unterhändler wieder begegnet war und wo er sich in sie verliebt hatte. [6]
    »Nein!«, krächzte Rulfan. »Sie trägt es mir nicht nach. Die Wildnis hat ihre eigenen Gesetze…« Ihm fiel auf, dass er eine Frage beantwortete, die Aldous ihm überhaupt nicht gestellt hatte.
    »Das Gesetz von Leben und Tod, von Jäger und Beute«, fügte Aldous hinzu. »Obwohl sie es dir nicht nachträgt, leidest du darunter. Diese Narbe erinnert dich täglich daran, dass du nicht nur der zivilisierte Mensch bist, als der du dich gerne siehst, sondern auch ein primitiver Barbar, seinen Instinkten Untertan und zum Töten bereit.«
    Rulfan zitterte noch mehr. Er konnte seinen Blick nicht von Aldous wenden. Dessen Augen schienen ihn aufzusaugen, in eine Tiefe zu ziehen, der Rulfan sich verweigerte. Nein, dort wollte er nicht hin. Und doch…
    »Du benötigst Führung, mein Freund«, sagte Aldous mit sanfter Stimme. »Ich bin bei dir und führe dich auf den richtigen Weg. Nur mit mir wirst du deine Schuld begleichen, nur mit mir wirst du den Weg zur Erkenntnis finden. Ich bin dein Freund und dein Meister!«
    Ich habe ihn seit Stunden nicht mehr Meister genannt, stellte Rulfan fest. Aber Aldous hatte recht! Er, Rulfan, hatte Unrecht getan. Er hatte zu wenig Verständnis für Andere aufgebracht. Er war wütend auf seinen Vater gewesen, auf seine Mutter, auf Matt, auf Aruula… auf so viele Menschen, die ihm in seinem langen Leben begegneten. Wann hatte er zuletzt herzhaft gelacht, das Sternenlicht genossen, ein Lied gesungen? Und was besonders grausam war, ein Fanal seiner Schwäche: Letztendlich trug sogar seine große Liebe den Makel seines Zorns in Form einer Narbe! Diesen Zorn würde ihm Aldous nehmen. Endlich!
    »Tue Gutes!«, murmelte Aldous.
    Ja, Rulfan würde etwas Gutes für die Menschheit tun: Er würde dafür sorgen, dass Daa’tan und Grao kein Unheil mehr anrichten konnten!
    »Ja… Meister!«, flüsterte Rulfan. »Verzeih, dass ich zweifelte.«
    Aldous legte Rulfan beide Hände auf die Schultern und zog ihn an sich. »Mein Freund, mein guter Freund…«, flüsterte der Alte. Rulfan drückte den hageren Mann an sich, wobei er sich etwas bücken musste.
    »Wollen wir nun endlich hinein gehen?«, fragte Victorius. Er wirkte eindeutig verärgert und warf einen missmutigen Blick auf Aldous.
    »Ja, gerne.« Rulfan nickte, neu gefestigt und sich seiner Sache wieder sicher.
    Der Prinz gab den Wachen ein Zeichen. Man ließ sie durch und öffnete ihnen die Tür zum inneren Kerkerbau.
    Abgestandene schwüle Luft empfing die Eintretenden. Hier drinnen gab es keine weiteren Wächter; kein Wunder, denn bei diesem Klima hätten sie bald nur noch vor sich hin gedöst. Licht fiel durch dünne Belüftungsschlitze in den Metallplatten, die man von außen nicht erkannt hatte, und tauchte den Raum in streifiges Licht.
    Rulfan bestaunte den sechs Meter hohen Kuppelbau, der sich im Inneren der Metallhülle erhob. Zwei nebeneinander angebrachte Leiterkonstruktionen führten zu seinem
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