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223 oder das Faustpfand - ein Kriminalfall

223 oder das Faustpfand - ein Kriminalfall

Titel: 223 oder das Faustpfand - ein Kriminalfall
Autoren: Residenz
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Reißaus nimmt, du Paradearier!
    »Juda verrecke!«, antwortet Karl Fricke, und ein Gutteil der Umstehenden stimmt ihrem Lagerführer nickend, lachend, ja sogar johlend zu.
    »Na ja, wenn das so ist, dann werden wir mal weiterschauen«, sagt Winkler.
    »Tun Sie das, Herr Inspektor!«, genießt der Lagerführer seinen Triumph.
    »Revierinspektor«, antwortet der tonlos und wendet sein schweres Fahrrad. Sein Blick bleibt einen Moment hängen an den sanften, silbernen Wellen der Donau, die keine 30 Meter vom Lagerplatz entfernt vorbeiflutet.
    »Schmeißen Sie das Pack halt in die Donau hinein!«, ertönt ein einzelner, heiserer Ruf aus der Menge.
    »Ihr Zuagrasten hoit’s bessa de Goschn!«
    Der aus der Gegend gebürtige Soukop hat sich nicht mehr halten können. Revierinspektor Winkler winkt sofort ab. Die Sache ist für ihn entschieden, hat ihren Lauf genommen. Er hat auch gar nichts anderes erwartet.
    »Herr Lagerführer, habe die Ehre!«, wendet er sich endgültig ab. Die Abfahrt erfolgt selbdritt gleich wie die Ankunft, und Korporal Soukop, der noch immer rot im Gesicht ist, tritt wütend in die Pedale.
    »Nicht auf die Straße zurück, wir fahren weiter zur Baustelle«, sagt der Revierinspektor halblaut.
    Seit 1941 hatten diverse Bauleiter und Ingenieure der Rhein-Main-Donau AG die Illusion genährt, mit ein paar Dutzend Arbeitern – zuerst Arbeitsdienstler, dann vor allem politische Häftlinge aus dem Kerker in Krems-Stein und schließlich ukrainische und ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter – ein ganzes Donaukraftwerk an der Strombeuge westlich des Schlossberges von Persenbeug hochziehen zu können. Immerhin hatten sie sich damit erspart, zur Wehrmacht einberufen zu werden und Frontluft schnuppern zu müssen. Viel mehr als ein umfangreiches Konvolut von aus purer Langeweile immer wieder abgeänderten Plänen und handkolorierten Aufrisszeichnungen, ein mit Waldviertler Granit befestigter Uferstreifen, der Abriss einiger Häuschen an ebendiesem Donauufer und der Bau von 3 einstöckigen Holzbaracken ist dabei schließlich in mehr als 3 Jahren nicht herausgekommen. Schon vor Wochen hatten die Herren Ingenieure ihre verbliebenen Zwangsarbeiter unter Bedeckung von Waffen-SS Richtung Mauthausen in Marsch gesetzt. Danach hatten sie sich selbst mit dem Baustellen-LKW, einem Opel Blitz, und einer Horch-Karosse Richtung Westen abgesetzt.
    »Hier hat der Maier nichts mehr zu melden«, denkt Revierinspektor Winkler, als er und seine 2 Untergebenen vor der ersten Baracke der Rhein-Main-Donau AG stehen. Das kleine Zwangsarbeiterlager liegt schon auf dem Gebiet der benachbarten Gemeinde Hofamt Priel, und es ist leer.
    Die Volksdeutschen, die sich noch immer nicht verlaufen haben, sehen ihnen aus rund 200 Metern Entfernung neugierig zu, ihre Langeweile hat für heute ein Ende. Niemand beachtet dagegen die Leiche eines Wehrmachtsfeldwebels, dem der rechte Arm von einer Granate abgerissen wurde, die nahe dem Ufer zuerst an den Gendarmen und dann am Umsiedlerlager vorbeitreibt. Ein derartiger Anblick ist für keinen Anwohner des Donauufers hier etwas Neues.
    »Wir sollten denen was bieten, Soukop«, meint der Revierinspektor beiläufig. »Schießen Sie das Vorhängeschloss auf! Na los, machen Sie schon!«
    Kalt und muffig, nach Angst und Schweiß riecht es in der ersten Baracke, aber immerhin, stellt Revierinspektor Winkler fest, scheint das Dach halbwegs regendicht zu sein. Dagegen fehlt in den meisten Bettstellen das Stroh, eine ganze Reihe von Fensterscheiben ist zerbrochen oder durch Karton ersetzt, von Kanonenöfen, Kochherden, Waschbecken, Duschen oder gar Badewannen keine Rede.
    Dieser Befund zeigt sich auch in der zweiten und der dritten Baracke, in der es im Stock auch ein separates Krankenzimmer gibt. Wieder hat der lange Soukop zum Gaudium der Volksdeutschen je ein Vorhängeschloss aufschießen müssen. Ein Metallsplitter hat sich beim letzten Schuss in seine rechte Wange gebohrt. Er blutet und flucht.
    Etwas abseits gegen die Straße zu entdecken Winkler und seine Untergebenen noch ein kleines, gut ausgestattetes Ziegelhäuschen, ein ehemaliges Bahnwärterhäuschen, in dem offenbar der Bauleiter und seine Ingenieure oder vielleicht auch die Wachmannschaft logiert haben. Soukop dankt seinem Schöpfer, dass hier kein Vorhängeschloss angebracht ist. Gemeinsam mit Korporal Landler hebt er die sorgfältig versperrte Tür aus den Angeln.
    Ab hier verlieren die Akten und Berichte Revierinspektor Franz Winkler für ein paar
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